Derzeit prüfen viele Kommunen, die Grundsicherungsleistungen für behinderte Kinder erbringen, ob sie auf das für die Betreffenden gezahlte Kindergeld zugreifen können oder gar müssen. Der 12. Senat des FG Münster hat in einem am Freitag veröffentlichten Urteil dazu erste Grundsätze aufgestellt.
Das Finanzgericht (FG) macht deutlich, dass es bei im Haushalt der Eltern lebenden, behinderten Kindern darauf ankommt, den gesamten Lebensbedarf des Kindes zu ermitteln und diesen den eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes gegenüber zu stellen. Nur wenn sich hier eine Deckungslücke ergebe, sei hinreichend nachvollziehbar, dass der insoweit bestehende Lebensbedarf des Kindes aus dem "gemeinsamen Topf", in den das Einkommen der Eltern geflossen ist, gedeckt wurde (Urt. v. 25.03.2011, Az. 12 K 1891/10 Kg).
Im Streitfall ging es um das Kindergeld, das eine Mutter für ihren volljährigen, schwerstbehinderten Sohn bezieht. Dieser lebt im Haushalt seiner Eltern und ist an den Werktagen in einer Behindertenwerkstatt im Arbeitsbereich tätig. Hieraus erzielt er ein geringes Werkstatteinkommen. Seine Eltern erhalten Pflegegeld der Pflegestufe III. Die Stadt zahlt an das Kind Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung.
Die Kommune war daher der Meinung, dass das Kindergeld an sie - und nicht an die kindergeldberechtigte Mutter - auszuzahlen sei, und zwar unabhängig davon, ob oder in welcher Höhe die Eltern Aufwendungen für das Kind getragen haben. Nachdem die Familienkasse den Abzweigungsantrag der Stadt abgelehnt hatte, klagte diese vor dem FG. Die in dem Verfahren als so genannte Beigeladene beteiligte kindergeldberechtigte Mutter verwies auf die von ihr getragenen Aufwendungen (etwa für Arzneimittel, Kleidung oder Urlaub) sowie die von ihr erbrachten Pflegeleistungen. Sie war der Meinung, dass eine Auszahlung des Kindergeldes an die Stadt nicht in Betracht kommt, da ihre eigenen Aufwendungen deutlich über dem an sie ausgezahlten Kindergeld liegen.
Das FG gab der Mutter Recht und lehnte eine Abzweigung des Kindergeldes an die Stadt ab. Das Gericht stellte klar, dass eine Abzweigung an die Kommune gem. § 74 Abs. 1 Einkommenssteuergesetz nicht in Betracht komme, wenn kindergeldberechtigte Eltern Aufwendungen für ihr Kind tragen, die mindestens so hoch sind wie das Kindergeld. Anders als die Stadt meine seien dabei nicht nur solche Aufwendungen zu berücksichtigen, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf oder das (sozialhilferechtliche) Existenzminimum decken.
Weiterhin sei die Berücksichtigung fiktiver Kinderbetreuungskosten ausgeschlossen. Aufwendungen zum Beispiel für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Bekleidung, Hausrat, Freizeit oder Urlaub seien von den Eltern zu beziffern und auch glaubhaft zu machen.
In Bezug auf den Betreuungs- und Pflegeaufwand von kindergeldberechtigten Eltern spricht nach Auffassung des 12. Senates grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Pflegegeld insgesamt für die Sicherstellung der häuslichen Pflege verwendet wird. Das Pflegegeld stehe demnach, so das Gericht, nicht für die Bestreitung des Grundbedarfs oder eines anderweitigen behinderungsbedingten Bedarfs des Kindes zur Verfügung. Allerdings müssten kindergeldberechtigte Eltern, die einen höheren - über dem Pflegegeld liegenden - Betreuungs- und Pflegeaufwand geltend machten, diesen konkret darlegen.
tko/LTO-Redaktion
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FG Münster: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3147 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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