Allein die illegale Einreise in einen EU-Mitgliedstaat rechtfertigt nicht die Inhaftierung der Migranten. Das hat der EuGH am Donnerstag entschieden. Die entsprechende litauische Regelung verstoße gegen Unionsrecht.
Litauen hätte Migrant:innen nicht wegen ihrer illegalen Einreise verhaften dürfen. Der illegale Aufenthalt in einem Land reiche als Haftgrund nicht aus, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Donnerstag in einem Eilvorabentscheidungsverfahren (Az. C-72/22 PPU). Litauens Begründung, dass durch die hohe Migrantenzahl die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gestört werde, sei nicht ausreichend.
Eine Inhaftierung sei nur dann zu rechtfertigen, wenn das Verhalten eines Asylbewerbers bzw. einer Asylbewerberin eine Bedrohung für die innere oder äußere Sicherheit darstelle. Auch in Notsituationen sei es rechtswidrig, ihnen wegen ihres illegalen Aufenthalts das Recht zu verweigern, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
Im Sommer 2021 kamen tausende Flüchtlinge über Belarus in die EU-Mitgliedstaaten Litauen, Polen und Lettland. Aufgrund der großen Anzahl von Menschen rief Litauen im November den Notstand aus und erließ verschärfte Vorschriften für Geflüchtete. Unter anderem wurden Asylbewerber:innen nach dem illegalen Grenzübertritt ins Gefängnis gebracht.
Allein Berufung auf öffentliche Ordnung reiche nicht
Am 17. November 2021 war ein Drittstaatsangehöriger in Polen zusammen mit einer Gruppe von Personen aus Litauen festgenommen worden. Zur Begründung wurde angeführt, er verfüge weder über die erforderlichen Reisedokumente noch über ein Visum für den Aufenthalt in Polen und der EU. Der Mann wurde den litauischen Behörden übergeben und dort bis zur Entscheidung über seinen Rechtsstatus in Gewahrsam genommen.
Er soll unmittelbar einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, den Litauen jedoch als unzulässig abwies. Nach der litauischen Regelung kann jemand, der illegal eingereist ist, dort keinen Antrag auf internationalen Schutz stellen. Zudem können Migrant:innen in einer durch den Massenzustrom verursachten Notsituation allein aufgrund der illegalen Einreise verhaftet werden.
Der Gerichtshof stellte in dem Eilvorabentscheidungsverfahren fest, dass auch diejenigen, die sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, dort einen Antrag auf internationalen Schutz stellen dürfen.
Zudem reiche allein die allgemeine Berufung auf Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit, die durch den Massenzustrom verursacht werden könnten, als Rechtfertigung für die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen nicht aus.
"Klarer Bruch des EU-Rechts"
Die Organisation Pro Asyl begrüßte die Entscheidung des EuGH. "Im Jahr 2022 ist die Feststellung dieser völkerrechtlichen Selbstverständlichkeiten bitter nötig", erklärte Karl Kopp, Leiter der Europaabteilung bei Pro Asyl. Das Gericht habe den EU-Staaten einige rote Linien aufgezeigt. Durch die litauischen Gesetzesverschärfungen seien die Rechte von Schutzsuchenden massiv eingeschränkt worden.
Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst nannte die Entscheidung eine gute Nachricht und europaweit bedeutsam. "Die litauischen Notstands-Vorschriften von 2021, die eine pauschale Inhaftierung von Menschen erlaubten, die aus Belarus in die EU kamen, sind ein klarer Bruch des EU-Recht", sagte die Linken-Politikerin.
dpa/fkr/LTO-Redaktion
EuGH zu Inhaftierung in Litauen: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48904 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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