Der EuGH hat die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes konkretisiert. Er stellt klar, dass Frauen nach Gewaltdrohungen oder Zwangsheirat den Flüchtlingsstatus erhalten können.
Frauen, die in ihren Herkunftsländern zwangsverheiratet wurden und Gewalt erfahren haben oder davon bedroht sind, können als Flüchtlinge anerkannt werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass diese Frauen eine soziale Gruppe im Sinne der Flüchtlingsstatus-Richtlinie (RiLi 2011/95) darstellen (Urt. v. 16.01.2024, Az. C-621/21). Schon bisher sind diese Frauen nicht zurück in ihre Herkunftsländer geschickt worden. Umstritten war jedoch, ob sie eine sogenannte soziale Gruppe darstellen können und damit den Flüchtlingsstatus bekommen oder zumindest den sogenannten subsidiären Schutz erhalten.
In dem Fall, der nun vor den EuGH gelangt war, klagt eine türkische Staatsangehörige kurdischer Herkunft in Bulgarien auf Erhalt des Flüchtlingsstatus (internationaler Schutz). Sie ist eine geschiedene Muslimin und trägt vor, von ihrer Familie zwangsverheiratet und von ihrem Ehemann geschlagen und bedroht worden zu sein. Sie fürchte für den Fall ihrer Rückkehr in die Türkei um ihr Leben.
Frausein ist angeborenes Merkmal
Die RiLi 2011/95 legt die Kriterien fest, die eine Flüchtlingseigenschaft begründen können. Das ist die Verfolgung von Drittstaatsangehörigen wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder eben die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Für den Flüchtlingsschutz muss hinzukommen, dass diese Gruppe in dem Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Der EuGH hat nun entschieden, dass die Richtlinie im Einklang mit dem Übereinkommen von Istanbul auszulegen ist. Die sogenannte Istanbul-Konvention bindet die EU und erkennt Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung an. Zudem entschied der Gerichtshof, dass Frauen insgesamt als einer sozialen Gruppe im Sinne der RiLI 2011/95 zugehörig angesehen werden können. Folglich könne ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind. Diese Vorgaben muss das Gericht in Bulgarien nun berücksichtigen, wenn es über den Fall der klagenden Frau entscheidet.
Deutsche Gerichte legen EuGH-Maßstäbe bereits an
Sind diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt, können die Frauen aber noch Anspruch auf sogenannten subsidiären Schutz haben. Das gilt, wenn ihnen von einem Angehörigen ihrer Familie oder ihrer Gemeinschaft tatsächlich angedroht wird, wegen eines angenommenen Verstoßes gegen kulturelle, religiöse oder traditionelle Normen getötet zu werden oder andere Gewalttaten zu erleiden.
Die meisten deutschen Verwaltungsgerichte (VG) haben in solchen Fällen bereits wie der EuGH entschieden und diesen Frauen den Flüchtlingsstatus zuerkannt (VG Würzburg, Urt. v. 14.03.2019, Az. W 9 K; VG Karlsruhe, Urteil v. 21.10.2021, Az. A 19 K 1998/21).
EuGH gewährt Flüchtlingsstatus: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53643 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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