Das Rücktrittsrecht wegen besonderer Umstände aus der Pauschalreise-RL ermöglicht es Reisenden, sich alle getätigten Zahlungen erstatten zu lassen. Kennen sie dieses Recht nicht, darf das Gericht sie darauf hinweisen, urteilte nun der EuGH.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat geurteilt, dass nationale Gerichte unter Umständen dazu verpflichtet sind, Reisende, die von einem Pauschalreisevertrag zurücktreten möchten, auf ihre Rechte aus der entsprechenden EU-Richtlinie hinzuweisen (Urt. v. 14.09.2023, Az. C-83/22). Auf diesem Weg könnten die Gerichte es den Reisenden ermöglichen, sich die gesamten gezahlten Beträge erstatten zu lassen.
Dem Urteil lag der Fall eines Reisenden zugrunde, der eine für März 2020 geplante Reise bei dem Anbieter Tuk Tuk Travel gebucht hatte. Losgehen sollte es in Spanien, das Ziel waren Vietnam und Kambodscha. Als sich dann aber das Coronavirus in Asien immer weiter ausbreitete, entschied der Reisende etwa einen Monat vor dem geplanten Antritt, die Reise abzusagen. Er trat vom Vertrag zurück und verlangte alle ihm zustehenden Beträge erstattet. Der Reiseveranstalter informierte den Reisenden daraufhin darüber, dass nach Abzug der Stornierungsgebühren nur noch ein kleiner Teil der gezahlten Summe zurücküberwiesen werden würde.
Müssen die Gerichte auf nicht bekannte Rechte hinweisen?
Vor Gericht begehrte der Reisende, der sich nicht anwaltlich vertreten ließ, eigentlich nur eine teilweise Erstattung des gezahlten Betrags. Er ging selbst davon aus, dass etwa ein Viertel der Summe den Verwaltungskosten von Tuk Tuk Travel entspreche und verlangte diese daher auch nicht zurück. Was ihm nicht bewusst war: Er hätte auch einen Anspruch auf Rückerstattung aller getätigten Zahlungen geltend machen können.
Denn der Pauschalreisevertrag selbst sah zwar nur ein Rücktrittsrecht gegen die Zahlung von Gebühren vor. Die Pauschalreiserichtlinie (Pauschalreise-RL) enthält aber ein gebührenfreies Rücktrittsrecht, wenn aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände Abstand vom Vertrag genommen wird. Darunter kann nach allgemeiner Rechtsprechung des Gerichtshofs auch die Ausbreitung des Coronavirus fallen.
Das mit der Sache befasste spanische Gericht fragte deswegen beim EuGH an, ob dem Reisenden nach der Richtlinie von Amts wegen die Erstattung aller getätigten Zahlungen zugesprochen werden dürfe.
Hinweis auf Rechte dient dem Schutz des Reisenden
Der EuGH führt als Antwort auf diese Frage aus, dass es für den wirksamen Schutz des Reisenden erforderlich sei, dass das nationale Gericht einen Verstoß gegen das in der Pauschalreise-RL gewährte Rücktrittsrecht von Amts wegen aufgreifen dürfe. Diese Prüfung von Amts wegen unterliege aber bestimmten Voraussetzungen. Unter anderem muss dafür nach Auffassung des EuGH das Rücktrittsrecht mit dem Streitgegenstand des Gerichtsverfahrens zusammenhängen. Außerdem müsse das nationale Gericht über alle erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügen, um zu prüfen, ob das Rücktrittsrecht von dem betreffenden Reisenden geltend gemacht werden könnte.
Eine Prüfung von Amts wegen kann laut EuGH insbesondere dann erforderlich sein, wenn der Reisende sein Recht nicht geltend macht, weil er nicht weiß, dass es besteht. In aller erster Linie seien aber nicht die Gerichte, sondern der Reiseveranstalter in der Pflicht, den Reisenden über dieses Recht zu informieren, betont der Gerichtshof.
Liegen die Voraussetzungen vor, müsse das Gericht den Reisenden dann zum einen über sein Rücktrittsrecht informieren, das sich aus der Pauschalreise-RL ergibt, und ihm desweiteren die Möglichkeit einräumen, von diesem Recht im laufenden Verfahren Gebrauch zu machen. Die Entscheidung, ob der Anspruch geltend gemacht werden soll oder nicht, liege aber letztlich beim Reisenden. Das Gericht sei nicht dazu verpflichtet, den Vertrag nach erfolgter Prüfung des Rücktrittsrechts auch zu beenden und den Anspruch zuzusprechen, so der Gerichtshof.
lmb/LTO-Redaktion
EuGH zu Verbraucherrechten von Reisenden: . In: Legal Tribune Online, 15.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52704 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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