Auch wer in den Niederlanden langfristig aufenthaltsberechtigt ist, darf zu einem Integrationstest verpflichtet werden. Die Staaten müssen jedoch aufpassen, dass die Umstände der Prüfung nicht den Zielen des Unionsrechts entgegenstehen.
Die Mitgliedstaaten dürfen langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige zur erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung verpflichten. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag. Die Modalitäten für die Umsetzung dieser Pflicht dürften jedoch die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 2003/109/EG betreffend die langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht gefährden, führten die Luxemburger Richter hierzu einschränkend aus (Urt. v. 04.06.2015, Rechtssache C-579/13).
Nach der Richtlinie ist Drittstaatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erteilen. Wer diese Rechtsstellung erlangt hat, ist in dem betreffenden Mitgliedstaat in vielerlei Hinsicht grundsätzlich wie ein eigener Staatsangehöriger zu behandeln, etwa beim Zugang zum Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich, bei Sozialleistungen und steuerlichen Vergünstigungen. Unter anderem müssen sich Zugezogene hierfür fünf Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Inland aufgehalten haben, über ein ausreichendes Einkommen sowie über eine Krankenversicherung verfügen.
Seit 2007 wird in den Niederlanden zudem ein sogenannter Integrationstest verlangt. Damit sollen Drittstaatenangehörige den Erwerb mündlicher und schriftlicher Kenntnisse der niederländischen Sprache und von hinreichenden Kenntnissen der niederländischen Gesellschaft nachweisen. Bei Nichtbestehen der Prüfung innerhalb dieser Frist verliert man zwar nicht die Aufenthaltsberechtigung. Legen die Verpflichteten die Prüfung jedoch nicht ab, können wie wiederholt zu einer Geldbuße verpflichtet werden.
Geklagt hatten eine Amerikanerin und eine Neuseeländerin, die jeweils seit 2007 bzw. 2008 in den Niederlanden auf Grundlage der Richtlinie unbefristet aufenthaltsberechtigt waren. Sie waren dazu verpflichtet worden, erfolgreich diese Integrationsprüfung innerhalb einer festgesetzten Frist abzulegen. In der Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 1. Januar 2010 konnten Drittstaatsangehörige den Status eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erwerben, ohne zuvor die Integrationsprüfung abgelegt zu haben. Für sie gilt eine nachträgliche Pflicht zur Ablegung dieser Prüfung.
Integrationstests weder ver- noch geboten
Der niederländische Centrale Raad van Beroep äußerte Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Integrationspflicht mit der Richtlinie. Er legte dem Gerichtshof deshalb die Frage vor, ob die Mitgliedstaaten nach der Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten Integrationsanforderungen in Form einer bußgeldbewehrten Integrationsprüfung stellen dürfen.
Die Luxemburger Richter stellten fest, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten weder gebiete noch untersage, von Drittstaatsangehörigen zu verlangen, auch noch nach Erhalt der Aufenthaltsberechtigung Integrationspflichten erfüllen. Unter anderem ausschlaggebend für diese Entscheidung sei gewesen, dass die erfolgreiche Ablegung der betreffenden Prüfung keine Voraussetzung für die Erlangung oder Aufrechterhaltung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sei, sondern lediglich eine Geldbuße nach sich ziehe. Außerdem wies der Gerichtshof auf die Bedeutung hin, die der Unionsgesetzgeber Integrationsmaßnahmen beimesse.
Mit dem Test verstießen die Niederlande auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil die Integrationspflicht den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats nicht auferlegt werde, erklärten die Richter. Denn die Situation der Drittstaatsangehörigen sei mit der der Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats nicht vergleichbar.
Der Erwerb von Kenntnissen sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats begünstige die Interaktion und die Entwicklung sozialer Beziehungen zwischen den Staatsangehörigen des Mitgliedstaats und den Drittstaatsangehörigen und erleichtere den Zugang Letzterer zu Arbeitsmarkt und Berufsausbildung.
Integrationspflicht darf Ziele der Richtlinie nicht gefährden
Jedoch dürfen die Modalitäten für die Umsetzung der Integrationspflicht nicht die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie gefährden. In diesem Zusammenhang ist der EuGH der Ansicht, dass insbesondere der für die erfolgreiche Ablegung der Prüfung geforderte Kenntnisstand, die Zugänglichkeit der Kurse und des zur Prüfungsvorbereitung erforderlichen Materials, die Höhe der Einschreibungsgebühren oder besondere individuelle Umstände, wie Alter, Analphabetismus oder Bildungsniveau, zu berücksichtigen seien.
Hinsichtlich der Geldbuße merkte der Gerichtshof an, dass deren Höchstbetrag mit 1 000 Euro ein relativ hohes Niveau erreicht. Außerdem könne diese Geldbuße ohne Begrenzung bei jedem erfolglosen Ablauf der für das erfolgreiche Ablegen der Integrationsprüfung gesetzten Frist verhängt werden, bis der betreffende Drittstaatsangehörige diese Prüfung erfolgreich abgelegt hat.
Da die zum Test Verpflichteten die Einschreibungsgebühren in Höhe von 230 Euro ebenfalls innerhalb der gesetzten Frist allein zu tragen haben, könne die zusätzliche Zahlung einer Geldbuße die Verwirklichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und dieser somit ihre praktische Wirksamkeit nehmen. All diese vom EuGH angezweifelten Umstände hat nun das nationale Gericht zu prüfen.
ahe/LTO-Redaktion
EuGH zur Integrationsprüfung: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15758 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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