In der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" suchen Politiker, Netzaktivisten und Wissenschaftler nach Empfehlungen für den Bundestag. Vor der ersten Sitzung nach der Sommerpause am Montag äußert sich ein FDP-Abgeordneter zu seinen Erwartungen.
Sebastian Blumenthal ist neben Jimmy Schulz und Manuel Höferlin einer von drei Abgeordneten, die sich in der FDP netzpolitisch engagieren. Vor der Fortsetzung der Plenumsberatungen in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft antwortet er auf Fragen der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
dpa: Herr Blumenthal, welche Rolle hat eigentlich eine Enquete-Kommission?
Blumenthal: Das Grundverständnis einer Enquete-Kommission ist leider noch nicht überall durchgedrungen. Es geht ja nicht darum, dass sich Regierung und Opposition immer konträr gegenüberstehen, wie sonst im Plenum oder im Ausschuss. Die Enquete-Kommission ist eher ein Gremium, das weitgehend konsensual Handlungsempfehlungen ausarbeiten soll. Ich bedaure es, dass die Tagespolitik immer wieder überwiegt und wir uns so teilweise vom Grundauftrag entfernen.
dpa: Was ist bei der letzten Sitzung schief gelaufen?
Blumenthal: Wir hatten die Ausgangssituation, dass monatelang in den Projektgruppen die Themen konsensual vorbereitet wurden. Und wir hatten die Situation, dass am Vorabend der Enquete-Sitzung Anträge von Einzelpersonen aus den Reihen der Opposition eingebracht wurden, die diesen Konsens quasi infrage gestellt haben. Wenn man monatelang etwas gemeinsam in der Gruppe vorbereitet und dann zur Abstimmung bringen will, und dann kommen solche Einzelanträge, dann passt das nicht zu dem Arbeitsgeist, den wir uns selbst auferlegt haben. Wir sind in der Netzpolitik einmal damit angetreten zu zeigen, dass Politik auch anders geht.
"Keine staatliche Regulierung bis ins letzte Detail"
dpa: Braucht das Internet klare Regeln?
Blumenthal: Ich sehe keinen Grund, das Netz in irgendeiner Form
vorauseilend zu regulieren. Aber wir brauchen Rechtssicherheit. Diejenigen, die im Netz unterwegs sind, müssen Konsequenzen kennen und tragen, wo Grenzen übertreten werden, wenn es in Richtung Diffamierung oder Rufmord geht und wenn es um Urheberrechtsverletzungen geht. Sowohl für die Nutzer als auch für die Anbieter besteht da aber ein hohes Maß an Unsicherheit. Warum kann ich in England bestimmte YouTube-Filme ansehen und warum darf
ich das nicht in Deutschland? Das sind Sachen, die sind nicht logisch. So einen Grundkatalog braucht man schon, aber ansonsten keine staatliche Regulierung bis ins letzte Detail.
dpa: Welches Verhältnis hat die Politik zum Internet?
Blumenthal: Einige sehen in dem politischen Diskurs quer durch alle Parteien das Netz als Parallelwelt, und das ist es nicht mehr. Die Durchdringung von neuen Kommunikationsformen im nondigitalen Leben ist allumfassend. Da ist noch ein Bewusstseinswandel in Teilen der Gesellschaft notwendig. Die einen glorifizieren das Netz geradezu. Andere dämonisieren das Internet als Hort von Kriminellen und Illegalen. Da ist eine sachliche Differenzierung für mich sehr wichtig.
dpa: Was sind Ihre Erwartungen vor der Enquete-Sitzung am Montag?
Blumenthal: Ich erwarte, dass die Empfehlungen zu Datenschutz und
Netzneutralität in der kommenden Sitzung beschlossen werden. Wir haben aber das Problem, dass die Enquete-Kommission mit einem so engen Zeitrahmen versehen und mit einer so großen Themenfülle belegt wurde, dass wir da wirklich ins Schwimmen kommen werden. Wir haben so viel auf dem Tisch liegen, dass die Zeit dafür eigentlich zu knapp ist.
dpa: Wäre da vielleicht eine Verlängerung hilfreich?
Blumenthal: Mit einer Verlängerung der Enquete-Kommission würden wir uns keinen Gefallen tun, weil wir dann in die Wahlkampfzeit geraten. Hier und da beobachte ich jetzt schon gewisse Reflexe, die nach Wahlkampfrhetorik klingen. Das wird dann nicht besser. Wir sollten uns schon bemühen, dass wir das bis 2012 schaffen, dass wir die Enquete-Kommission dann abschließen können.
"Strikt verstandene Netzneutralität passt nicht in die moderne Wirtschaftswelt"
dpa: In der Netzneutralität gibt es schroffe Fronten, was ist da Ihre
Haltung?
Blumenthal: Eine strikt verstandene Netzneutralität, wonach alle Daten gleich sein sollen, passt nicht in die moderne Wirtschaftswelt. Im Business-to-Business-Geschäft oder bei bestimmten Internet-Diensten für private Anwender muss eine Priorisierung von Datentypen möglich sein.
dpa: Welche Bedeutung hat die Bürgerbeteiligung mit der Online-Plattform
Adhocracy?
Blumenthal: Das Projekt Adhocracy war in jedem Fall eine gute Sache im Sinne von mehr Bürgerbeteiligung. Man kann sich mit eigenen Entwürfen einbringen. Allerdings ist das substanziell verwertbare Material überschaubar. Diese Beteiligungsplattformen werden die Parlamentsarbeit nicht ersetzen können, es ist eine ergänzende Komponente.
dpa/tko/LTO-Redaktion
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Enquete-Kommissionsmitglied Blumenthal: . In: Legal Tribune Online, 15.10.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4560 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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