In Haft hätte er zwar so oder so gesessen, wegen einer Entscheidung des LG Essen bekam ein junger Straftäter jedoch vom EGMR Schadensersatz zugesprochen. Das Gericht habe die Unschuldsvermutung missachtet.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Bundesrepublik Deutschland am Donnerstag zu einer Schadensersatzzahlung von rund 10.000 Euro verurteilt (Urt. v. 12.11.2015, Az. 2130/10).
Der Beschwerdeführer ist ein junger Straftäter, der 2008 vom Amtsgericht (AG) Gladbeck wegen Raubes und Einbruchdiebstahls zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden war. Im Oktober 2009 wurde er wegen des Verdachts eines erneuten Einbruchdiebstahls fest- und in Untersuchungshaft genommen. Er gestand die Tat zunächst, nahm das Geständnis aber beim Haftprüfungstermin in Anwesenheit seines Anwalts wieder zurück.
In der Zwischenzeit erfuhr das AG Gladbeck von der erneuten Straffälligkeit und widerrief die Aussetzung der Jugendstrafe auf Bewährung. Das Landgericht (LG) Essen wies die Berufung des jungen Mannes gegen diese Aufhebung der Aussetzung auf Bewährung ab, so dass seine Untersuchungshaft wegen des neuerlichen Verbrechens ausgesetzt wurde, um die Haftstrafe von 2008 zu vollstrecken.
Untersuchungshaft hätte Strafverteidigung vereinfacht
Vor dem EGMR begehrte der Mann die Feststellung, dass der Widerruf seiner Straufaussetzung zur Bewährung durch das LG Essen die Unschuldsvermutung und damit das Recht auf ein faires Verfahren ( Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)) verletzt und er Anspruch auf einen entsprechenden Schadensersatz habe.
Einstimmig hält der EGMR in seinem Urteil fest, dass eine Verletzung von Art. 6 EMRK vorliegt. Er folgte der Begründung des jugendlichen Straftäters, nach der die Strafverteidigung im neuen Verfahren einfacher und effektiver aus der Untersuchungshaft hätte geführt werden können als aus dem Strafvollzug.
Überdies habe die Berufungsinstanz völlig außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer sein zunächst getätigtes Geständnis zurückgezogen hatte. Der Aufhebung der Bewährung habe nicht einmal ein Urteil zugrunde gelegen. Das Argument der Vertreter Deutschlands, der Beschwerdeführer habe keinen Tag länger im Gefängnis verbracht, da er ansonsten statt im Strafvollzug in Untersuchungshaft gesessen hätte, ließ das Gericht nicht gelten: Rund 10.000 Euro Schadensersatz muss die Bundesrepublik an den Beschwerdeführer leisten.
ms/LTO-Redaktion
EGMR verurteilt Deutschland zu Schadensersatz: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17531 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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