Auch gegen Entlassungen nach dem Putsch in der Türkei können Betroffene sich nicht unmittelbar vor dem EGMR wehren. Sie müssen sich zunächst an eine speziell dafür eingerichtete Kommission wenden. Auch wenn die noch gar nicht arbeitet.
Zuletzt waren die Hoffnungen auf ein baldiges Urteil aus Straßburg zum Putschversuch in der Türkei gestiegen. Aber noch immer lässt ein erstes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Putschversuch in der Türkei weiter auf sich warten. Mit einer Entscheidung von Montag halten die Straßburger Richter an ihrer Linie fest, Kläger zunächst auf die Erschöpfung des nationalen Rechtswegs zu verweisen (Beschwerde-Nr. 70478/16).
Geklagt hatte ein Lehrer, der aufgrund eines Notstandsdekrets entlassen worden war. Er muss sich nun zunächst vor einer im Januar neu eingerichteten Kommission in der Türkei gegen die Entlassung wehren. Dort können auch Entlassungen im Ausnahmezustand überprüft werden.
Der Gerichtshof lehnte damit zum vierten Mal eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom 15. Juli als unzulässig ab. "Nachdem das höchste Gericht (Verfassungsgericht) einen Fall geprüft und ein Urteil gesprochen hat, kann jeder Einzelne eine Beschwerde nach der (Menschenrechts-)Konvention vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen", heißt es.
Erst zur Kommission, dann zu den Gerichten, dann zum EGMR
Es sei an den Betroffenen, die Grenzen des neuen Rechtsmittels zur Überprüfung von Entlassungen zu testen, so die Straßburger Richter. Der Gerichtshof habe keinen Grund zur Annahme, dass das neue Rechtsmittel den Beschwerden des Klägers nicht angemessenen abhelfen könne. "Oder dass es keine vernünftigen Erfolgschancen bietet." Das gilt nach Ansicht des Gerichtshofs, obgleich die Kommission kein juristisches Organ ist. Schließlich seien ihre Entscheidungen gerichtlich überprüfbar, heißt es in der Mitteilung des EGMR.
Ihre Entscheidungen sollen von den Verwaltungsgerichten und schließlich vom Verfassungsgericht kontrolliert werden können. Erst nach Ausschöpfung dieses Rechtswegs will der EGMR Klagen gegen Entlassungen nach dem Putschversuch inhaltlich prüfen. Bisher hat die im Januar eingerichtete Kommission ihre Arbeit allerdings nicht aufgenommen. Spätestens am 23. Juli 2017 müsse der Premierminister, so die Straßburger Richter, das Datum bekannt geben, zu dem die Kommission mit der Überprüfung von Entscheidungen im Rahmen des Ausnahmezustands beginnen werde. Ab diesem Zeitpunkt obliege der Nachweis, dass die Kommission effektiv mit den Beschwerden umgehe, der türkischen Regierung. Und der Gerichtshof bleibe, darauf weisen die Richter hin, zuständig für alle Letztkontrollen von Klägern, die den Rechtsweg zuvor ausgeschöpft haben.
In Straßburg waren bis Ende Mai 17.630 Beschwerden im Zusammenhang mit dem Putschversuch eingegangen. Dabei geht es neben Entlassungen vor allem um Inhaftierungen. Unter den Klägern ist auch der in der Türkei inhaftierte deutsch-türkische Welt-Journalist Deniz Yücel. Seit der Niederschlagung des Putsches wurden Zehntausende Menschen inhaftiert und rund 100.000 Staatsbedienstete entlassen.
dpa/pl/LTO-Redaktion
Klagen nach Putschversuch in der Türkei: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23163 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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