Das BVerfG hatte die Abschiebungsanordnung eines als Gefährder eingestuften Mann aus Dagestan in der vergangenen Woche als rechtmäßig angesehen. Der EGMR hat die Umsetzung jetzt auf dem Weg zum Flughafen gestoppt.
Vor sechs Tagen hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, die Abschiebungsanordnung eines 18-jährigen Russen aus Bremen sei rechtmäßig (Beschl. v. 26.07.2017, Az. 2 BvR 1606/17). Der Mann hat dagegen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht (EGMR) eingelegt – und der EGMR hat die Abschiebung am Mittwoch gestoppt.
Der Mann ist russischer Staatsangehöriger. Er stammt aus Dagestan und lebt seit dem Kleinkindalter in Deutschland. Dort wohnte er bis zu seiner Inhaftierung mit Ausnahme einer Zeit im Sommer 2015, in der er kurzzeitig bei einer Pflegefamilie untergebracht war, bei seinen Eltern. Er ist nach religiösem Ritus mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Diese Beziehung ist nach seinen Angaben allerdings inzwischen beendet.
Seit dem 19. April 2014 ist der Beschwerdeführer im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG); diese war zuletzt bis zum 15. März 2018 verlängert worden. Ende 2014 untersagte die Stadt Bremen ihm aber die Ausreise aus Deutschland, weil sie davon ausging, dass er nach Syrien ausreisen wolle. Die Staatsanwaltschaft Bremen leitete ein Strafverfahren ein. Sie verdächtigte ihn, sich Anleitungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat beschafft zu haben (§ 91 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuchs, StGB). Am 13. März 2017 ordnete der Innensenator die Abschiebung gemäß § 58a AufenthG an.
BVerwG und BVerfG hatten Abschiebung gebilligt
Die Rechtmäßigkeit der Norm war durchaus umstritten, allerdings hat das BVerfG diese – wie zuvor schon zuvor das Bundesverwaltunggericht (BVerwG) - in mindestens drei bekannten Fällen bestätigt: Das Gericht hatte sowohl die Verfassungsbeschwerde eines Algeriers aus Bremen als auch die eines Nigerianers aus Göttingen schon als unzulässig abgewiesen. Und verfuhr ebenso, als der Russe aus Bremen sich gegen seine Abschiebung wehrte.
In seinem Fall gingen die Karlsruher Richter – wie zuvor das BVerwG – konkret auf ein mögliches Abschiebungsverbot ein und stellten fest, dass ein solches auch im Hinblick auf das Zielland nicht vorliege. Grundsätzlich kann eine Abschiebung verboten sein, wenn dem Betroffenen im Heimatland eine menschenrechtswidrige Behandlung iSd Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) droht. Zwar ließen die Ausführungen des BVerwG zu den Lebensmöglichkeiten in Russland "eine gewisse Tiefe" vermissen, so das BVerfG; verfassungsrechtlich zu beanstanden seien sie aber nicht.
Ebenso wenig ergebe sich ein Abschiebungsverbot in die Russische Föderation aus Art. 19 Abs.4 S. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art.2 Abs. 2 S. 1 u. S. 2 GG. Zwar sei es notwendig, dass die Gerichte sich mit der Lebenswirklichkeit der Rückkehrer im Heimatland intensiv befassen, die Sachverhaltsaufklärung könne sogar verfassungsrang haben. Insbesondere müssen sich die Gerichte mit der Frage auseinander setzen, ob den Abgeschobenen dort eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe.
Dies habe das BVerwG aber hinlänglich getan. So habe es aktuelle Erkenntnisquellen zur Lage von aus dem Nordkaukasus stammenden Rückkehrern nach Moskau und Umgebung berücksichtigt und mehrere Anfragen an das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gerichtet, die es seiner Entscheidung zugrunde gelegt habe, hatte das BVerfG entschieden.
Auf die Rüge des Mannes, das hätte erläutern müssen, warum auf eine diplomatische Zusicherung Russlands habe verzichtet werden können, ging das BVerfG darüber hinaus nicht ein.
EGMR stoppt die Abschiebung – vorläufig und ohne Sachentscheidung
So blieb dem Russen nur der Weg zum EGMR über die Beschwerde gegen die Entscheidungen aus Deutschland – der Rechtsweg hierzulande war erschöpft. Der Mann soll bereits auf dem Weg zum Flughafen Frankfurt gewesen sein, als das europäische Gericht die Abschiebung stoppte.
Derartige vorläufige Maßnahmen kann die Kammer des EGMR nach Art. 39 der EGMR-Verfahrensordnung auf eine Beschwerde hin ergreifen. Eine Entscheidung in der Sache ist dies allerdings nicht – nicht über Zulässigkeit der Beschwerde und schon gar nicht über die materiell-rechtlichen Fragen.
Der Gerichtshof wird nun die deutschen Behörden um weitere Informationen zum Verfahren ersuchen. Bei Abschiebungen kann dies etwa die Frage sein, ob das Zielland Zusicherungen gemacht hat, dass der Abgeschobene in seinem Land entsprechend den Menschenrechten behandelt wird.
Genau diese hatte auch das BVerfG zur Bedingung für die Rechtmäßigkeit der Abschiebung des anderen, ebenfalls in Bremen lebenden Gefährders aus Algerien gemacht: Die algerische Regierung sollte zusichern, dass dem Mann keine menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Derartige menschenrechtswidrige Behandlungen stehen Abschiebungen – und zwar auch von denen von Gefährdern – entgegen. Ob eine solche Zusicherung im Fall des Russen vorliegt, ist der LTO nicht bekannt.
Der EGMR wird zunächst im vorläufigen Verfahren entscheiden, ob tatsächlich ein Abschiebungshindernis vorliegt. Abhängig vom Ergebnis könnte er die Beschwerde zulassen oder als unzulässig ablehnen. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass das Verfahren auch in der Hauptsache geführt wird und der EGMR das Abschiebehindernis schon für die Dauer des Verfahrens feststellt.
Tanja Podolski, Beschwerde gegen BVerfG-Entscheidung: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23749 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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