Die polnische Justizreform beschäftigt nicht nur den EuGH, sondern auch den EGMR. Der Menschengerichtshof entschied nun, dass die Richterernennung in Polen gegen die EMRK verstößt, und fordert Polen auf, umgehend Abhilfe zu schaffen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen im Zusammenhang mit der umstrittenen Justizreform des Landes zu Entschädigungszahlungen verurteilt. Das Verfahren zur Ernennung von Richter:innen in Polen sei von Parlament und Exekutive unzulässig beeinflusst worden, erklärte das Straßburger Gericht am Montag (Urt. v. 8.11.2021, Az. 49868/19, 57511/19).
Warschau muss nun zwei polnischen Richtern, die sich in Straßburg beschwert hatten, je 15.000 Euro zahlen – wegen einer Verletzung des Menschenrechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Außerdem ist Polens Regierung verpflichtet, den von Straßburg festgestellten Missständen ein Ende zu bereiten.
Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Innerhalb von drei Monaten können beide Prozessparteien es noch anfechten. Wie Polen reagieren würde, sei aber noch nicht abzusehen, ordnet Menschenrechtsanwalt Holger Hembach die Entscheidung ein. So seien zwar auch "generelle Maßnahmen" wie der EGMR sie vorliegend ausgesprochen hat, grundsätzlich verbindlich. "Es ist aber durchaus möglich, dass Polen sich letztlich ähnlich wie gegen eine jüngere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht an das Urteil halten wird.", führt Hembach aus.
Kein unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht
Die nationalkonservative PiS-Regierung baut das Justizwesen des Landes seit Jahren trotz internationaler Kritik um und setzt Richter damit unter Druck. Die EU-Kommission klagte schon mehrfach gegen die Reformen, zum Teil wurden sie vom EuGH gekippt.
In Straßburg beschwert hatten sich nun zwei polnische Richter, die sich in ihrem Land auf neue Posten beworben hatten, jedoch abgelehnt wurden. Sie wandten sich wegen dieser Ablehnung an eine im Zuge der polnischen Justizreform neu geschaffene Kammer des höchsten Gerichts des Landes, scheiterten jedoch.
Nun sprach der EGMR dieser Kammer die Legitimität ab: Sie sei kein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht, wie es Art. 6 EMRK für ein faires Verfahrens fordere. Die Mitglieder habe Polens Präsident Andrzej Duda auf Empfehlung des umstrittenen Landesjustizrats ernannt. Dieser ist laut Kritikern kein politisch unabhängiges Gremium mehr, seitdem seine Zusammensetzung von der PiS-Parlamentsmehrheit verändert wurde. Der EGMR warf Duda vor, in "eklatantem Widerspruch zu den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit" gehandelt zu haben, als er die Empfehlungen des Landesjustizrats berücksichtigte.
Laut EGMR gingen zwischen 2018 und 2021 wegen der polnischen Justizreform 57 Beschwerden gegen Polen ein. Verfahren gegen die Justizreform Polens wurden vom EGMR bereits im Mai als "urgent cases" eingestuft.
ast/dpa/LTO-Redaktion
EGMR zur umstrittenen Justizreform: . In: Legal Tribune Online, 08.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46586 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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