Versammlungsfreiheit und Infektionsschutz lassen sich schwer unter einen Hut bekommen. Eine Entscheidung des BVerfG hat in Stuttgart eine Demonstration ermöglicht, anderenorts wurden Demonstrationen am Wochenende aufgelöst.
Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 17.4.2020, Az. 1 BvQ 37/29) haben rund 50 Menschen in Stuttgart an einer zunächst untersagten Demonstration teilgenommen. Das Gericht hatte dem Eilantrag des Klägers gegen das Verbot der Demonstration in Stuttgart stattgegeben. Der Beschluss verpflichtete die Kommune, über die Anmeldung neu zu entscheiden.
Die Stadt Stuttgart sah sich deshalb veranlasst, das von ihr erlassene Verbot der Kundgebung am Samstag auf dem zentralen Schlossplatz zurückzunehmen. Unter der Beachtung eines Abstandes von eineinhalb Metern zwischen den Teilnehmern und einer Distanz zu Passanten von zwei Metern könne die Versammlung am Samstagnachmittag stattfinden, teilte die Stadt nach der Entscheidung als Karlsruhe mit. Ein Privatmann hatte die Demonstration gegen die Einschränkung der Grundrechte in der Coronakrise mit maximal 50 Teilnehmern angemeldet.
Nach einem Gespräch mit dem Mann habe der Versammlung unter Auflagen nichts mehr entgegengestanden, teilte die Stadt mit. Sie betonte jedoch: "Das Versammlungsrecht ist wie der Gesundheitsschutz ein hohes Gut. Bei unseren Entscheidungen haben wir beide Güter entsprechend der geltenden gesetzlichen Vorgaben abzuwägen." Derzeit stehe der Schutz vor Ansteckungen im Vordergrund.
BVerfG: Verfassungsbeschwerde "offensichtlich begründet"
Der Stuttgarter war zuvor mit Eilanträgen bei den Verwaltungsgerichten gescheitert. Das BVerfG dagegen hielt den Erlass einer einstweiligen Anordnung für geboten. "Eine Verfassungsbeschwerde wäre nach gegenwärtigem Stand offensichtlich begründet", heißt es in dem Beschluss vom Freitag.
Die Stadt hatte dem Gericht in einer Stellungnahme mitgeteilt, es sei ihr nicht möglich, Auflagen festzusetzen, die der aktuellen Pandemielage gerecht würden. Das war den Verfassungsrichtern aber viel zu pauschal. Es sei zwar richtig, dass die Infektionszahlen gerade in Stuttgart in den vergangenen Wochen stark gestiegen seien. Das befreie aber nicht davon, "möglichst in kooperativer Abstimmung mit dem Antragsteller alle in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen in Betracht zu ziehen und sich in dieser Weise um eine Lösung zu bemühen". Es müssten immer die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Die Stadt Stuttgart betonte, noch mehr als bisher seien in sogenannten Kooperationsgesprächen mit den Anmeldern die Möglichkeiten und Grenzen von Versammlungen unter Beachtung der Corona-Regeln auszuloten.
Die Demonstration fand in Stuttgart am Samstag dann friedlich und unter Einhaltung der Auflagen statt.
Demonstrationen in Berlin und Mainz aufgelöst
Am Mittwoch hatte das BverfG im Eilverfahren bereits das Verbot zweier Demonstrationen in Gießen gekippt (Beschl. v. 15.4.2020, Az. 1 BvR 828/20). Die Stadt hatte die Kundgebungen daraufhin unter strengen Auflagen erlaubt. In anderen Städten in Deutschland sah es hingegen anders aus: Mancherorts haben am Wochenende Menschen gegen die Einschränkung von Grundrechten in der Coronakrise protestiert, die Versammlungen wurden aufgelöst.
In Berlin-Mitte etwa demonstrierten am Samstag wieder Hunderte Menschen, von 79 Teilnehmern nahm die Polizei die Personalien auf, wie die Polizei mitteilte. Einzelne Teilnehmer wurden demnach weggetragen, zwei Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam genommen, nachdem sie der Aufforderung, den Platz zu verlassen und den Mindestabstand zu wahren, nicht gefolgt waren. Laut Polizei waren die Teilnehmer einem Aufruf im Internet gefolgt.
Auch in Mainz lösten Polizei und Ordnungsamt eine Demonstration zum Thema Grundrechte und Infektionsschutz mit rund 20 Menschen auf. Die Versammlung am Samstagnachmittag sei nicht angemeldet gewesen, die Teilnehmer hätten darüber hinaus gegen die Corona-Auflagen verstoßen, erklärte ein Sprecher der Stadt am Sonntag.
Israelis machen vor, wie man mit Abstand demonstriert
Während in Deutschland also nach wie vor Uneinigkeit herrscht hinsichtlich der Vereinbarkeit von Versammlungsfreiheit und Infektionsschutz, haben am Sonntag im ebenfalls von der Coronakrise betroffenen Isreal Tausende Bürger demonstriert. Die Demonstranten auf dem zentralen Rabin-Platz trugen Gesichtsmasken und standen auf markierten Positionen jeweils zwei Meter voneinander entfernt, damit die Polizei die Kundgebung nicht zwecks Infektionsschutzes auflöste.
Teilnehmer schwenkten schwarze sowie israelische Fahnen und riefen "Demokratie, Demokratie, Demokratie". Sie protestierten gegen aus ihrer Sicht anti-demokratische Maßnahmen der Regierung unter Netanjahu, auch im Kampf gegen das neuartige Coronavirus.
ast/dpa/LTO-Redaktion
Versammlungsfreiheit in der Coronakrise: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41356 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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