Das ist eine Seltenheit: Am Morgen vor der Urteilsverkündung in Karlsruhe herrscht kaum Spannung. Denn die Entscheidung kursierte Stunden vorher im Internet. Es gibt erste Hinweise auf die Ursache.
Schon am Abend vor der Urteilsverkündung zur jüngsten Wahlrechtsreform konnte man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Internet finden, LTO berichtete noch in der Nacht. Das dürfte nach ersten Erkenntnissen eher ein Versehen gewesen sein, kein Hackerangriff oder das Werk eines sogenannten Whistleblowers. "Es gibt derzeit Anhaltspunkte für eine technische Ursache", sagt ein Gerichtssprecher in Karlsruhe. "Die Einzelheiten werden geklärt."
Der Vorfall ist sehr ungewöhnlich: Am Montagabend taucht plötzlich ein PDF auf, das aussieht wie ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts. Wie das Urteil, auf das die Ampel-Koalition und die Opposition, aber auch mehr als 4.000 private Klägerinnen und Kläger sowie Pressevertreter und weitere Interessierte warten. Es ist zeitweise auf der Internetseite des BVerfG abrufbar. Nur ob es echt ist, bestätigt der Sprecher am Abend nicht und verweist auf die Verkündung. Die ist am Dienstag für 10:00 Uhr angesetzt. Medien berichten aber schon vorher über den Inhalt, Politiker kommentieren ihn.
Verfassungsrichterin: “Prüfen, wie es dazu kommen konnte”
Der Vorfall ist so außergewöhnlich, dass auch die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats und Vizegerichtspräsidentin Doris König nicht umhinkommt, ihn zu Beginn der Sitzung zu kommentieren: "Ich nehme an, mit Spannung wird jetzt erwartet, dass wir Stellung nehmen", sagt sie, nachdem sie die grundsätzlichen Entscheidungen des Gerichts stichpunktartig verkündet hat. Auch sie verweist auf einen möglichen technischen Fehler. "Das Gericht ist gerade dabei zu prüfen, wie es dazu kommen konnte."
Danach fährt König mit dem erläuternden Einführungsstatement fort, bevor das Urteil in Auszügen verlesen wird. "Weil die, die das Urteil noch nicht gelesen haben, wahrscheinlich aus dem Tenor alleine nicht wirklich schlau geworden sind", sagt die Vorsitzende Richterin des Zweiten Senats.
Am Nachmittag gab das BVerfG dann noch eine Pressemitteilung heraus, in der das Bedauern über den Vorfall zum Ausdruck gebracht wird. Auch insoweit wird nochmals auf bestehende Anhaltspunkte für eine technische Ursache verwiesen. Der Direktor beim BVerfG, Peter Weigl, sei mit der Aufklärung und Prävention beauftragt worden.
Gysi nicht mehr ganz so aufgeregt
Die Reaktionen sind milde, von Häme und Spott kann im Gericht nicht die Rede sein. Eher mit einem Augenzwinkern sagt Linken-Urgestein Gregor Gysi am Morgen vor der Verkündung: "Ich war ziemlich aufgeregt hinsichtlich des Ergebnisses des Verfahrens. Durch ein kleines Versehen ist meine Aufregung etwas gesenkt worden, weil man die Entscheidung schon ein bisschen ahnt, sag' ich mal."
Offenbar gravierender findet die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), die Tatsache, dass das Urteil Stunden vor der Verkündung für kurze Zeit im Internet zu finden war. Dies sei sehr bedenklich, erklärt sie, "gerade in der jetzigen Zeit, in der wir so intensiv für Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen werben".
dpa/jb/LTO-Redaktion
Red. Hinweis: aktualisierte Fassung vom 02.08.2024, 15:24 Uhr: Gelöscht wurde eine Passage mit Informationen der dpa zum Format des Dokuments.
Erste Hinweise zur Panne am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55109 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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