Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde von Böhmermann nicht angenommen. Das überrascht, da das Gericht zuvor Stellungnahmen von Organisationen einholte. Gab es Uneinigkeit unter den Richtern?
Jan Böhmermanns Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist erfolglos. Die Richter:innen der 2. Kammer des Ersten Senats nahmen sie nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 26.01.2022, Az.1 BvE 2026/19).
Fast sechs Jahre ist es her, seitdem Jan Böhmermann mit seinem an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan gerichteten "Schmähgedicht" in seiner damaligen Sendung auf "ZDFneo" eine Staatsaffäre auslöste, wochenlang die Schlagzeilen beherrschte.
Dass das Gedicht alleinstehend betrachtet als Sammelsurium übelster Beschimpfungen (etwa: "am liebsten mag er Ziegen ficken") eine Rechtsverletzung darstellt, war immer klar. So referiert auch Böhmermann im Beitrag selbst darüber, dass eine Schmähkritik unzulässig ist. Doch für die äußerungsrechtliche Beurteilung kommt es stets auf den Kontext an. Der von Böhmermann auch thematisierte Hintergrund für das "Schmähgedicht" war, dass der türkische Staatspräsident wegen eines überaus harmlosen Satirebeitrags von extra 3 (NDR) den deutschen Botschafter einbestellte, zudem der Präsident in der Türkei Kritik unterdrückt, drakonisch gegen ihn kritisierende Journalist:innen vorgeht. Daran anknüpfend präsentiert Böhmermann das "Schmähgedicht", das er immer wieder für rechtliche Erörterungen über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Äußerungen unterbricht. Die kontrovers diskutierte und bis heute offene Rechtsfrage lautet: Ist aufgrund der Gesamtkontextes des Beitrages, der darauf abzielt, dem autoritären Herrscher Erdogan die tatsächlichen Grenzen der Meinungsfreiheit aufzuzeigen, von einer zulässigen Satire auszugehen?
Keine Begründung wegen Unstimmigkeit?
Diese spannende und in Gesellschaft und Wissenschaft kontrovers diskutierte Frage beantwortet das BVerfG nicht. In dem äußerst kurzen Beschluss heißt es allein: "Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat."
Von einer weiteren Begründung sieht das Gericht ab. Diese Möglichkeit sieht das Bundesverfassungsgerichtsgesetz zwar ausdrücklich vor (§ 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG). Doch die originär zuständige 2. Kammer des Ersten Senats hatte die Entscheidung an den Senat abgegeben. Und dieser nahm sich der Sache an. So bat der Erste Senat - im Namen der Vorsitzenden Stephan Harbath - Fachgesellschaften und Organisationen um Stellungnahmen, u.a. ver.di, djv, die Bundesrechtsanwaltskammer und das ZDF. Die Stellungnahmen sprachen sich überwiegend für die Stattgabe der Verfassungsbeschwerde aus. Vor diesem Hintergrund ist die Nichtannahme nun überraschend und wirft Fragen auf: Wieso hat der Senat überhaupt Stellungnahmen eingeholt, wenn der Fall dann doch wieder an die Kammer zurückgespielt wurde? Warum hat er nicht in der Sache entschieden? In diesem Fall wären etwaige Unstimmigkeiten zwischen den Richter:innen durch die Möglichkeit eines Sondervotums transparent geworden.
Dass die Kammer nun die Annahme der Verfassungsbeschwerde abgelehnt hat, muss trotz Einstimmigkeit im Beschluss nicht zwingend bedeuten, dass die drei Richter der Kammer (Andreas Paulus, Ines Härtel, Josef Christ) einer Meinung waren. Die Formel "keine Aussicht auf Erfolg" könnte auch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Richtern hindeuten. Denn Sondervoten bei Kammerbeschlüssen sieht das Gesetz nicht vor. Und so könnte einer Richterin oder einem Richter lieber gewesen sein, sich darauf zu einigen, die Verfassungsbeschwerde Böhmermanns ohne Begründung abzuweisen. Denn eine Kammer am BVerfG muss Entscheidungen einstimmig treffen. "Keine Aussicht auf Erfolg" könnte also auch bedeuten, dass angesichts von Unstimmigkeiten der Richter die erforderliche Einstimmkeit für eine Stattgabe der Entscheidung nicht zu erreichen war.
Verfassungsbeschwerde nicht angenommen: . In: Legal Tribune Online, 10.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47487 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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