Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde der Opfer des NATO-Luftangriffs auf die Brücke von Varvarin während des Kosovo-Kriegs nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsrichter kritisierten allerdings die Urteile der Instanzgerichte, die der Bundesregierung einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum eingeräumt und den Klägern eine zu weitgehende Darlegungs- und Beweislast auferlegt hatten.
Im Ergebnis scheiterten die zivilen Opfer des NATO-Luftangriffs auf die Brücke im kosovarischen Varvarin nun auch vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss hervorgeht. Deutschland muss ihnen weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld zahlen. Damit bestätigte Karlsruhe die Urteile der Instanzgerichte (Beschl. v. 13.08.2013, Az. 2 BvR 2660/06, 2 BvR 487/07).
In dem Verfahren ging es um einen NATO-Luftangriff auf eine Brücke in der serbischen Stadt im Mai 1999. Bei dem Angriff starben zehn Menschen, 30 wurden verletzt, 17 davon schwer, wobei es sich durchweg um Zivilpersonen handelte. Deutsche Flugzeuge waren an der Zerstörung der Brücke nicht unmittelbar beteiligt.
Kritik an Fachgerichten
Das BVerfG stellte fest, dass das Völkerrecht keine allgemeine Regel kennt, nach der Einzelne bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht Schadensersatz oder Entschädigung vom verantwortlichen Staat einklagen können. Derartige Ansprüche stünden grundsätzlich nur dem Heimatstaat der Opfer zu.
Die Karlsruher Richter äußerten allerdings an zwei Stellen verfassungsrechtliche Bedenken an den Urteilen der Instanzgerichte. Dabei ging es zum einen um die gerichtliche Überprüfbarkeit des Beurteilungsspielraums der Bundesregierung bei der Auswahl militärischer Ziele; zum anderen kristisierte Karlsruhe die uneingeschränkte Darlegungs- und Beweislast, die sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch die Oberlandesgerichte den Klägern auferlegt hatten.
Ein "nicht justiziabler Beurteilungsspielraum zugunsten der Bundesregierung" sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Bestimmung legitimer militärischer Ziele sei keine politische Entscheidung, die einer gerichtlichen Kontrolle von vornherein entzogen sei.
Zudem hätte der BGH die Darlegungs- und Beweislast der Kläger einschränken müssen, soweit es um Tatsachen gegangen sei, über die die Kläger im Gegensatz zu der Beklagten keine Kenntnis haben konnten. Eine solche Konstellation könne nämlich sogar zur Beiweislastumkehr führen.
Ähnliches Verfahren wegen Angriff bei Kundus
Den Klägern half diese Einschätzung allerdings nicht weiter. Nach Ansicht der Richter spreche alles dafür, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung mit der notwendigen Sorgfalt getroffen habe. Eine Zurückverweisung an die Instanzgerichte könne daher nicht zu einem günstigeren Urteil für die Opfer führen.
Ein ähnliches Verfahren läuft derzeit in erster Instanz vor dem Landgericht (LG) Bonn. Vor derselben Kammer, die schon über die Ansprüche der Opfer von Varvarin zu entscheiden hatte, verklagen Angehörige und Geschädigte des Luftangriffs von Kunduz Deutschland auf Schadensersatz (Az. 1 O 460/11).
Am 30. Oktober beginnt das Gericht mit einer Beweisaufnahme zur Aufklärung der genauen Umstände des Bombardements. Dabei sollen einzelne Abschnitte der von US-Kampfjets gefertigten Videoaufnahmen über den Hergang des Luftangriffs vom September 2009 in Augenschein genommen werden.
cko/LTO-Redaktion
BVerfG zu Brücke von Varvarin: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9479 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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