Dem umstrittenen Handelsabkommen CETA steht aus deutscher Sicht zunächst nichts mehr im Wege. Das BVerfG sieht weder einen Ultra-vires-Akt noch andere Verletzungen des Grundgesetzes.
Das CETA-Abkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement) ist mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Es ist weder als Ultra-vires-Akt einzustufen noch berührt es die Grundsätze des Demokratieprinzips. Das entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Anfang Februar, wie es am Dienstag bekannt gab (Beschl. v. 09.02.2022, Az. 2 BvR 1368/16 u.a.).
Im Jahr 2009 nahmen die EU und Kanada Verhandlungen über das ein Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA auf. Es soll die engen Wirtschaftsbeziehungen stärken und einem erweiterten und sicheren Markt für Waren und Dienstleistungen durch den Abbau bzw. die Beseitigung von Handel- und Investitionshemmnissen dienen. Im Juli 2016 unterbreitete die Europäische Kommission dem Rat der EU den Vorschlag, CETA zu genehmigen, die vorläufige Anwendung bis zum Abschluss der erforderlichen Verfahren zu erklären und das Abkommen abzuschließen.
Kritiker:innen des Abkommens hatten 2016 breiten Widerstand mobilisiert: Der "Bürgerklage" des Aktionsbündnisses "Nein zu Ceta" der Organisationen Foodwatch, Campact und Mehr Demokratie schlossen sich mehr als 125.000 Unterstützer:innen an. Sie befürchten, dass CETA ihre politischen Mitwirkungsrechte beschneidet. Umwelt- und Verbraucherschutz würden dem freien Handel untergeordnet. Auch zwei der 2016 eingereichten Verfassungsbeschwerden wurden von insgesamt fast 200.000 Bürger:innen unterstützt.
Befürworter:innen betonen vor allem den weitgehenden Wegfall von Zöllen und Handelshemmnissen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zog im Juni 2021 bei einem Treffen mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau eine positive Bilanz: 2019 sei der Handel bei Waren um 25 Prozent gewachsen, bei Dienstleistungen um 39 Prozent.
Ratifikation steht immer noch aus
Bereits im Oktober 2016 lehnte es das BVerfG im Eilrechtsschutz ab, die Unterzeichnung, vorläufige Anwendung und den Abschluss von CETA zu untersagen. Zwar könne der Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung möglicherweise ein Ultra-vires-Akt darstellen und auch die Verfassungsidentität nach Art. 79 Abs. 3 GG könne betroffen sein. Das könne jedoch durch Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung bis zur Entscheidung in der Hauptsache vermieden werden, so das BVerfG im Jahr 2016. Zudem müsse sichergestellt werden, dass Deutschland die vorläufige Anwendung von CETA auch einseitig beenden könne.
Letztendlich stellte sich diese Problematik auch in anderen Mitgliedstaaten heraus. Da sie der Ansicht waren, dass die EU nicht die erforderliche Zuständigkeit in zahlreichen von CETA geregelten Bereichen besitze, wurde es schließlich als gemischtes Abkommen behandelt. So wurden einige Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausgenommen. Die Bundesregierung stimmte dem zu und am 21. September 2017 trat CETA vorläufig in Kraft. Allerdings ist in zwölf Mitgliedstaaten – auch in Deutschland – das Verfahren zur Ratifikation noch nicht abgeschlossen. Auch die Ratifikation durch Kanada und die EU steht noch aus.
Die Beschwerdeführenden rügten nun vor dem BVerfG eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG. Die Fraktion die LINKE macht zudem per Organstreitverfahren in Prozessstandschaft Rechte des Bundestags geltend. Die Nichtablehnung von CETA durch die Bundesregierung verletze Gestaltungsrechte des Bundestags aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 GG. Die Fraktion wollte bereits vor dem BVerfG per Organstreitverfahren klären lassen, dass ein Mandatsgesetz erforderlich sei, dass der Bundesregierung vorschreibt, wie es sich in den Verhandlungen und Abstimmungen zu CETA im Rat der EU zu verhalten hat – und nicht "nur" eine Stellungnahme. Dem erteilte das BVerfG jedoch im Jahr 2021 eine Absage - genau wie mit dem nun bekanntgegebenen Beschluss ebenfalls.
Nur in einem Punkt zulässig
Sowohl die Verfassungsbeschwerden als auch das Organstreitverfahren waren erfolglos. Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren seien zunächst insoweit zulässig, als sie sich gegen die Mitwirkung des deutschen Vertreters am Beschluss des Rates der EU über die vorläufige Anwendung von CETA richten. Allerdings sind sie laut Pressemitteilung des BVerfG in Bezug auf die Unterzeichnung unzulässig, weil davon keine unmittelbare Rechtswirkung für die Beschwerdeführenden bzw. die LINKE als Antragstellerin ausgehe. Außerdem stehe der Beschluss des Rates zum Abschluss von CETA noch aus, weil er erst nach Ratifizierung sämtlicher Mitgliedstaaten gefasst werden soll und daher gegenwärtig noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen zeigen könne. Auch das deutsche Zustimmungsgesetz sei noch nicht verabschiedet und die Verfassungsbeschwerden auch diesbezüglich unzulässig.
In Bezug auf die Mitwirkung des Vertreters Deutschlands bei der Unterzeichnung seien sowohl die Verfassungsbeschwerden als auch das Organstreitverfahren jedoch offensichtlich unbegründet. Der Vertreter unterliege bei seinem Verhandlungs- und Bestimmungsverhalten im Rat grundgesetzlichen Bindungen. Er verletze das Recht der Bürger:innen aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 3 GG, wenn er an einem Rechtsakt mitwirkt, der die Verfassungsidentität berührt oder der einen Ultra-vires-Akt darstellt.
Das sei hier aber nicht der Fall. Der Beschluss des Rates zu CETA erstrecke sich nur auf Gegenstände, die unstreitig in die Zuständigkeit der EU fallen. In den anderen Anwendungsbereichen sei die vorläufige Anwendung beschränkt, so auch bei der möglichen Übertragung von Hoheitsrechten auf das Gerichts- und Ausschusssystem durch CETA. Ob diese Übertragung grundsätzlich mit Art. 23 Abs. 1 GG vereinbar ist, sei zwar zweifelhaft. Durch die getroffenen Einschränkungen seien die mitgliedstaatlichen Kompetenzen allerdings gewahrt worden und es liege kein Ultra-vires-Akt vor. Der EuGH hatte diesen Teil von CETA bereits 2019 bestätigt.
Keine Entscheidungen ohne Deutschland
Auch eine Berührung der Verfassungsidentität und der Demokratie- und Volkssouveränitätsgrundsätze seien ausgeschlossen. CETA sehe einen Gemischten Ausschuss vor, der für alle Fragen zuständig ist, die die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung von CETA betreffen. Seine Beschlüsse seien für die Vertragsparteien grundsätzlich bindend und von ihnen umzusetzen. Es sei bei der vorläufigen Anwendung von CETA im Ratsprotokoll sichergestellt worden, dass die Entscheidungen des Ausschusses einvernehmlich fallen – und daher eben auch nicht ohne die Zustimmung des deutschen Vertreters. Die Wahrung der Verfassungsidentität sei auf diese Weise sichergestellt.
Die spannende Frage dürfte nun sein, wie die neue Bundesregierung auf die Karlsruher Entscheidung reagiert. Die Grünen hatten sich in ihrem Wahlprogramm darauf festgelegt, Ceta wegen Defiziten beim Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz nicht in seiner jetzigen Fassung zu ratifizieren. Im Koalitionsvertrag mit SPD und FDP ist vereinbart: "Die Entscheidung über die Ratifizierung des Umfassenden Wirtschafts-und Handelsabkommens (CETA) treffen wir nach Abschluss der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht."
pdi/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
Verfassungsbeschwerden und Organklage abgewiesen: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47829 (abgerufen am: 25.11.2024 )
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