Die AfD-Fraktion ist mit ihren Kandidaten für den Vorsitz von drei Bundestagsausschüssen gescheitert. Auch wenn ihr die Positionen grundsätzlich zustünden, wird das BVerfG vorläufig keine AfD-Politiker einsetzen.
Als einzige Fraktion im Bundestag führt die AfD in keinem Ausschuss den Vorsitz. Dabei wird es auch erst einmal bleiben. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) lehnte es im Eilverfahren ab, die von den anderen Abgeordneten nicht gewählten AfD-Kandidaten vorläufig einzusetzen. Die abschließende Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus. Zunächst sehen es die Karlsruher Richter und Richterinnen als nicht "dringend geboten" an, eine einstweilige Anordnung zu erlassen (Beschl. v. 25.05.2022, Az. 2 BvE 10/21).
Die Ausschüsse werden in jeder Wahlperiode neu benannt und besetzt. "Die Ausschussvorsitzenden haben eine bedeutende Position", heißt es auf der Homepage des Bundestags. Sie bereiten die Sitzungen vor, berufen sie ein und leiten sie. Welche Fraktion welchem Ausschuss vorsitzt, wird im Ältestenrat ausgehandelt. Kommt es - wie nach der Wahl im September - zu keiner Einigung, wird aus der Stärke der Fraktionen eine Zugriffsreihenfolge berechnet. Nach dieser Rangfolge dürfen sich die Fraktionen im Wechsel ihre Ausschüsse aussuchen.
AfD: "Bruch jahrzehntelanger Gepflogenheiten"
An die AfD waren so der Innen- und der Gesundheitsausschuss sowie der Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit gefallen. Üblicherweise benennen die Fraktionen für ihre jeweiligen Ausschüsse dann auch einfach den oder die Vorsitzende - nur bei Widerspruch wird gewählt. Dabei hatten die anderen Abgeordneten am 15. Dezember in allen drei Ausschüssen die AfD-Kandidaten durchfallen lassen. Ein zweiter Anlauf am 12. Januar endete mit demselben Ergebnis.
Die AfD spricht von einem Bruch jahrzehntelanger Gepflogenheiten und hat Organklage erhoben, wie LTO bereits ausführlich berichtete. Sie macht geltend, dass ihr auf diese Weise eine gleichberechtigte Teilhabe verwehrt werde. Mit dem Eilantrag wollte die Fraktion erreichen, dass die von ihr nominierten Parlamentarier vorläufig als Ausschussvorsitzende eingesetzt werden, bis ihre Klage in Karlsruhe abschließend geprüft ist. Diese richtet sich gegen den Bundestag, dessen Präsidium und die betroffenen Ausschüsse.
Können Abgeordnete den Vorsitz frei wählen?
Das BVerfG sah es aber nicht als dringend geboten an, eine einstweilige Anordnung zu erlassen und hat den Eilantrag nun abgelehnt. Gemäß § 12 der Geschäftsordnung des Bundestages (GO-BT), nach dem die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen ist, stünden der AfD drei Vorsitzendenpositionen zwar grundsätzlich zu, so der Zweite Senat.
Es sei deswegen im Hauptsacheverfahren zu klären, ob § 58 GO-BT, wonach die Ausschüsse ihre Vorsitzenden bestimmen, eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zulässt oder ob dadurch die organschaftlichen Rechte der AfD aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) beeinträchtigt würden.
AfD kann an der politischen Willensbildung mitwirken
Wegen des offenen Verfahrensausgangs musste das BVerfG in dem zu entscheidenden Eilverfahren also eine Folgenabwägung treffen. Wiegt es schwerer, wenn die freie Wahl für das Amt des Ausschussvorsitzes verfassungswidrig wäre, aber die AfD die Posten bis zum Abschluss des Hauptverfahrens voraussichtlich nicht mit ihren Kandidaten besetzen kann. Oder ist es nachteiliger, wenn sich die Nichtwahl der von der AfD vorgeschlagenen Kandidaten im Nachhinein als verfassungsgemäß herausstellt, aber die Ausschüsse vorübergehend von Personen geleitet werden, denen die Mehrheit der Ausschussmitglieder offensichtlich nicht vertraut.
Im ersten Szenario könne die AfD auch ohne Ausschussvorsitz an der politischen Willensbildung mitwirken, so das BVerfG. Nach den Vorschriften der GO-BT habe ein Ausschussvorsitzender nur Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse, welche aber wiederum durch Kontroll- und Korrekturrechte der Ausschussmitglieder begrenzt seien. Eigenständige parlamentarische Kontrollrechte seien mit dem Ausschussvorsitz gerade nicht verbunden, heißt es in dem Beschluss.
Eingriff in die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages
Auf der anderen Seite könne das fehlende Vertrauen der Ausschlussmitglieder in den vorrübergehend eingesetzten Vorsitz die Arbeitsfähigkeit des ganzen Ausschusses gefährden, schreibt der Zweite Senat. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass die Ausschlussmehrheit die Leitung des Vorsitzenden konterkarieren könne. So könne aber die Funktionsfähigkeit des Bundestages insgesamt beeinträchtigt werden, weil in den Ausschüssen unverzichtbare Vorarbeit für das Plenum geleistet werde.
Zudem greife das BVerfG schwerwiegend in die von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages ein, wenn es vorläufig Ausschussvorsitzende einsetze. Hierzu sei Karlsruhe im Eilverfahren nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt, die der Zweite Senat als nicht gegeben ansah.
Unter anderem deshalb, weil auch das freie Mandat der übrigen Ausschussmitglieder aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG zu berücksichtigen sei, das ihnen ein Abstimmungsrecht gewähre. Die von der AfD begehrte einstweilige Anordnung widerspräche damit dem im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses, so das BVerfG.
AfD-Kandidat in letzter Wahlperiode abberufen
Der parlamentarische Geschäftsführer und Justiziar der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, hat mit Enttäuschung auf die Entscheidung des BVerfG zur Besetzung von Ausschussvorsitzen im Bundestag durch die AfD reagiert. "Heute ist mal wieder ein schlechter Tag für die parlamentarische Demokratie. Der AfD-Bundestagsfraktion wird eine faire Teilhabe an der parlamentarischen Arbeit verweigert. Wir werden weiter mit unlauteren Mitteln ausgegrenzt", teilte Brandner am Donnerstag mit.
Schon in der vorangegangen Wahlperiode hatte es Streit gegeben. Damals hatte Brandner selbst zwar zunächst in geheimer Wahl die notwendige Mehrheit erhalten, um den Vorsitz im Rechtsausschuss zu übernehmen. Im November 2019 wurde er aber wieder abberufen - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Bundestags. Grund dafür waren mehrere Eklats, die Brandner ausgelöst hatte.
Auch hierzu läuft noch ein Verfahren in Karlsruhe. Einen Eilantrag der Fraktion auf Wiedereinsetzung Brandners hatten die Richter im Mai 2020 abgelehnt - unter anderem mit der Begründung, dass die AfD ihre Beeinträchtigung durch die Benennung eines anderen Kandidaten selbst verringern könne. Sie hatten damals aber auch auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen verwiesen. Eine effektive Opposition dürfe nicht auf das Wohlwollen der Mehrheit angewiesen sein.
Mit Materialien der dpa
BVerfG im Eilverfahren: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48822 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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