Die Organisation des Europäischen Patentamts weist kein offenkundiges Rechtsschutzdefizit auf. Das BVerfG entschied am Donnerstag, dass durch die Organisation und Struktur keine Justizgrundrechte verletzt werden.
Mit am Donnerstag veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mehrere Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, mit denen sich Unternehmen gegen Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts wendeten (Beschl. v. 08.11.2022, Az. 2 BvR 2480/10, 2 BvR 561/18, u.a.).
Die Unternehmen wehrten sich vergeblich gegen Entscheidungen, durch die bestehende europäische Patente aufgehoben oder widerrufen worden waren. Die Unternehmen hätten im Wesentlichen eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetz (GG)) sowie des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gerügt, heißt es vom BVerfG. Die Unternehmen waren der Auffassung, dass das Rechtsschutzsystem der Europäische Patentorganisation (EPO) und damit auch die angegriffenen Entscheidungen generelle und offenkundige Defizite aufweisen.
Das Europäische Patentamt (EPA) ist ein Organ der EPO. Gegen Entscheidungen des EPA können Betroffene Rechtsschutz bei den Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer ersuchen. Im Jahr 2016 beschloss der Verwaltungsrat der EPA eine grundlegende Strukturreform des Rechtsschutzsystems der Europäischen Patentorganisation.
Das Europäische Patentamt prüft in einem zentralisierten und einheitlichen Verfahren europäische Patentanmeldungen für Erfinder, Wissenschaftler und Unternehmen aus aller Welt. Europäische Patente sind in den 39 Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation und in 5 weiteren Staaten zum Teil auch außerhalb Europas geschützt. Als zusätzliche Möglichkeit wird in diesem Jahr das sogenannte Einheitspatent eingeführt, das einfacher und kostengünstiger sein soll.
Keine Bindung an deutsche Prozessgrundsätze
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden als unzulässig verworfen. Für die Unternehmen, die ihren Sitz in Drittstaaten haben, fehle es bereits an einer Beschwerdeberechtigung, da sie sich auf Grundrechte des Grundgesetzes nicht berufen könnten. Im Übrigen sei eine Verletzung der gerügten Prozessgrundrechte (Recht auf den gesetzlicher Richter und Gewährung rechtlichen Gehörs) nicht gegeben.
Diese Rechte seien als Ausprägungen des Grundsatzes auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) ausgestaltet und richten sich daher ausschließlich an die deutsche Justiz. Internationale oder supranationale Organisationen seien hingegen nicht daran gebunden, weshalb die Verfahrensleitung der Beschwerdekammern von vornherein nicht an diesen Maßstäben gemessen werden könne.
BVerfG hatte auf Unstatthaftigkeit hingewiesen
Soweit sich die Beschwerden im Übrigen unmittelbar gegen die Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer wenden, fehle es außerdem an einem tauglichen Beschwerdegegenstand, so das BVerfG. Nach der gefestigten Rechtsprechung sei eine unmittelbare Anfechtung der Maßnahmen von Organen oder Einrichtungen der Europäischen Union (EU) durch Verfassungsbeschwerde ausgeschlossen. Die Maßnahmen zwischenstaatlicher Einrichtungen seien keine Akte öffentlicher Gewalt i.S.d. § 93 Abs. 1 Nr. 4a GG.
Es sei ein entsprechender Hinweis ergangen, heißt es in der Pressemitteilung des BVerfG. Dennoch sei nicht gehandelt und die Beschwerde nicht umgestellt worden, weshalb die Verfassungsbeschwerde unstatthaft sei.
Möglich sei aber, die Maßnahme als Vorfrage zum Gegenstand einer rechtlichen Überprüfung zu machen. Voraussetzung dafür sei eine Verletzung des vom deutschen Gesetzgeber geforderten Minimums an Grundrechtsschutz. In diesem Fall seien die Verfassungsorgane gehalten einzuschreiten. Eine solche Verletzung des Mindestmaßes an Rechtsschutz sei durch die Unternehmen nicht dargelegt worden, so das BVerfG.
Erhebliche Defizite vor Strukturreform
Den Anforderungen an die Rechtsschutzgarantie werde nur ausreichend Rechnung getragen, wenn ein Rechtsweg gegen hoheitliche Maßnahmen der zwischenstaatlichen Einrichtung gegeben sei und die Überprüfung durch einen unabhängigen Spruchkörper erfolge, so das BVerfG. Diesen Mindestanforderungen genüge die Organisation der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer - zumindest seit der Strukturreform.
Das BVerfG merkte allerdings an, dass es vor der Reform eine Reihe problematischer Gesichtspunkte in Hinblick auf die Organisation gegeben habe. So sei der zuständige Vizepräsident sowohl in die Verwaltung des EPA eingebunden gewesen und hätte gleichzeitig auch exekutive und rechtsprechende Aufgaben wahrgenommen. Diese Defizite seien durch die Neuorganisation behoben worden. Seither könne ein Vizepräsident auch nicht mehr zugleich zum Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer bestimmt werden.
Zuletzt sei auch die Annahme, es läge eine Verletzung rechtliches Gehörs oder der Justizgrundsätze vor, als unsubstantiiert zurückzuweisen. Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) enthalte insoweit ausreichende Regelungen zur Sicherstellung dieser Grundsätze.
Insgesamt sieht das BVerfG somit in der Organisation und Struktur des Europäische Patentamtes und der gewährleisteten Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Technischen Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer keine Verletzungen deutscher Justiz- und Prozessgrundrechte.
BVerfG zu Patentrecht auf EU-Ebene: . In: Legal Tribune Online, 12.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50732 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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