Da es um das Staatswohl ging, durfte der U-Ausschuss zum Weihnachtsmarktanschlag 2016 einen V-Personen-Führer aus dem Umfeld des Täters Amri zu Recht nicht befragen, lautet ein aktueller Beschluss des BVerfG.
Die Bundesregierung darf einen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes weiter vor dem Amri-Untersuchungsausschuss (U-Ausschuss) des Bundestags geheim halten. Grüne, Linke und FDP würden den Mann gern befragen und hatten deshalb in Karlsruhe ein Organstreitverfahren angestrengt - ohne Erfolg, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Mittwoch mitteilte (Beschl. v. 16.12.2020, Az. 2 BvE 4/18).
Der Islamist Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 in Berlin einen Lastwagen in seine Gewalt gebracht und war damit auf einen Weihnachtsmarkt gerast. Dabei wurden elf Menschen getötet und viele verletzt, außerdem hatte Amri den Lastwagenfahrer erschossen. Er selbst wurde wenige Tage später auf seiner Flucht in Italien von der Polizei erschossen. Der unbekannte V-Mann-Führer, den der U-Ausschuss nun gern befragen würde, hatte den Kontakt zu einer Quelle in der Berliner Fussilet-Moschee gehalten, wo auch Amri verkehrte.
Amri war den Behörden schon vorher als islamistischer Gefährder aufgefallen. Der 2018 einberufene U-Ausschuss soll aufklären, wie es trotzdem zu dem Anschlag kommen konnte. Dabei geht es auch um die Frage, welche Bedeutung Amri und dessen Bekannte als Informationsquellen für die Sicherheitsbehörden hatten.
BMI hat ersatzweise andere V-Leute genannt
Nachdem durch Medienberichte bekannt wurde, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mindestens eine V-Person im Umfeld einer von Amri besuchten Moschee habe, forderte der U-Ausschuss das Innenministerium auf, diese zu benennen. Das Innenministerium hatte dies jedoch verweigert, weil die V-Person in eine laufende Operation eingebunden sei. Das Risiko einer Enttarnung sei zu groß, für die BfV-Mitarbeiter wie für die Quelle. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Quelle die Zusammenarbeit abbreche.
Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats kamen mehrheitlich zu der Auffassung, dass in diesem besonderen Fall das parlamentarische Aufklärungsinteresse hinter dem Staatswohl zurücktreten müsse. Es liege keine Verletzung von Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG (Einsetzung eines Untersuchungsausschusses) vor. Die Grenze des Beweiserhebungsrechts von Untersuchungsausschüssen bilde das Staatswohl - und diese sei hier erreicht.
Das islamistisch-terroristische Milieu sei stark abgeschottet und gewaltbereit. "Der Verräter wird zum Ungläubigen, zum Feind, der mit allen Mitteln zu bekämpfen ist", formulierte das BVerfG in seiner Mitteilung zur Entscheidung. Die Bundesregierung habe entsprechend nachvollziehbar dargelegt, dass auch andere Quellen ihre Zusammenarbeit beenden könnten. Gleichzeitig seien neue Quellen im islamistischen Milieu nur sehr schwer zu gewinnen. Bei der Entscheidung spielte auch eine Rolle, dass das Ministerium dem Ausschuss ersatzweise zwei Vorgesetzte des V-Mannes genannt hatte.
Der Bruch der Vertraulichkeit, so die Richterinnen und Richter weiter, könne der Arbeit der Nachrichtendienste im islamistischen Milieu insgesamt schaden. Einzig Bundesverfassungsrichter Peter Müller, der eine abweichende Meinung verfasste, hatte die Vernehmung es Geheimdienstmitarbeiters im Ausschuss befürwortet.
Nicht der erste Wirbel um den U-Ausschuss
Die Oppositions-Obleute im Ausschuss bedauerten die Entscheidung. Die Bundesregierung wäre "dem Parlament und der Öffentlichkeit und vor allem den Opfern Antworten schuldig gewesen", sagte Martina Renner (Linke). Irene Mihalic von den Grünen bedauerte, dass "möglicherweise valide Aussagen zum Umfeld (...) nun in der Gesamtbetrachtung fehlen". Benjamin Strasser (FDP) forderte: "Wir müssen als Bundestag die Möglichkeit erhalten, dem Verfassungsschutz bei der Führung von Vertrauenspersonen besser auf die Finger schauen zu können."
Der U-Ausschuss befindet sich mit seiner Arbeit inzwischen auf der Zielgeraden. Die öffentliche Beweisaufnahme ist beendet. Nun soll der Abschlussbericht entstehen.
Bereits zuvor gab es Aufsehen um eine V-Person im Fall Amri. Ein Anwalt soll diese in einem anderen Verfahren mit ihrem Klarnamen benannt haben. Außerdem gab es den Vorwurf, dass Ermittlungsakten unzulässig verändert worden seien.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
BVerfG zum U-Ausschuss in Sachen Amri: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44173 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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