Der NSA-Untersuchungsausschuss bekommt keinen Zugang zu der NSA-Selektorenliste. Eine Herausgabe würde die Funktionsfähigkeit des BND und die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung einschränken, entschied das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass die Bundesregierung die NSA-Selektorenliste nicht an den NSA-Untersuchungsausschuss herausgeben muss (Beschl. v. 13.10.2016, Az. 2 BvE 2/15). Auf der Liste stehen Suchmerkmale wie Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen, die der US-Geheimdienst NSA dem Bundesnachrichtendienst (BND) geliefert haben soll. Der BND soll den Amerikanern damit über Jahre geholfen haben, europäische Unternehmen und Politiker auszuspionieren.
In Zusammenarbeit mit der amerikanischen NSA hatte der BND Daten im Internet nach von der NSA definierten Merkmalen (sogenannte Selektoren) durchsucht. Der BND soll sich dabei aber nicht nur der Terrorbekämpfung gewidmet haben: Auch Telekommunikationsdaten von deutschen und europäischen Zielen sollen durchsucht und entsprechende Ergebnisse an die NSA weitergeleitet worden sein. In der NSA-Spionageaffäre ist die Selektorenliste ein zentrales Dokument. Sie verrät, welche Ziele der BND für die Amerikaner unzulässigerweise ins Visier nahm.
Bundesregierung hat keine ausschließliche Verfügungsbefugnis
Der vom Bundestag eingesetzte NSA-Untersuchungsausschuss versucht seit 2014, die Vorgänge aufzuklären. Dafür verlangte der Ausschuss von der Bunderegierung die Herausgabe der Selektorenliste. Die Bundesregierung hatte die Herausgabe der Liste aber verweigert. Stattdessen wurde mit Koalitionsmehrheit der Verwaltungsrichter Kurt Graulich als "Vertrauensperson" bestellt. Dieser wertete die Liste aus und unterrichtete anschließend den Untersuchungsausschuss.
Mit ihren Anträgen im Organstreitverfahren begehrten die Die Fraktionen von Linken und Grünen im Bundestag sowie die Obleute der beiden Parteien im Ausschuss die Feststellung, dass die Bundesregierung und der Chef des Bundeskanzleramtes durch die Ablehnung der Herausgabe das Beweiserhebungsrecht des Bundestages aus Art. 44 Grundgesetz verletzt haben.
Die Selektorenlisten berühren aber auch Geheimhaltungsinteressen der USA und unterliegen deshalb nicht der ausschließlichen Verfügungsbefugnis der Bundesregierung, entschied das BVerfG. Eine Herausgabe unter Missachtung einer zugesagten Vertraulichkeit und ohne Einverständnis der USA würde die Funktions- und Kooperationsfähigkeit der deutschen Nachrichtendienste und damit auch die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erheblich beeinträchtigen.
Opposition enttäuscht
Das Geheimhaltungsinteresse der Regierung überwiege in diesem Fall das parlamentarische Informationsinteresse. Die Bundesregierunung mit dem NSA-Untersuchungsausschuss bereits so präzise, wie es ohne eine Offenlegung von Geheimnissen möglich war, Rechnung getragen. Insofern bestehe keine Gefahr des Entstehens eines kontrollfreien Raumes. Die Kenntnis der Selektoren sei "eher von allgemeinem politischen Interesse" und "nicht in einem Maße zentral, um gegenüber den Belangen des Staatswohls und der Funktionsfähigkeit der Regierung Vorrang zu beanspruchen".
Die Opposition zeigte sich enttäuscht von der Karlsruher Entscheidung. "Weite Teile der jahrelangen, rechtswidrigen BND-Praxis werden jetzt im Dunkeln bleiben", sagte der Grünen-Obmann Konstantin von Notz der Deutschen Presse-Agentur. "Weitere Skandale und massive Grundrechtsverletzungen sind vorprogrammiert." Die Obfrau der Linken im Aussschuss, Martina Renner, ergänzte: "Diese Entscheidung signalisiert, dass die Geheimdienste weiter machen können, was sie wollen, ungestört von parlamentarischer Kontrolle." Wenige Tage nach der Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten der USA sei dies "ein fatales Zeichen".
acr/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BVerfG zu NSA-Spionage: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21160 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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