Seit 2015 dürfen deutsche Sicherheitsbehörden die Antiterrordatei systematisch auswerten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dem BVerfG geht das teilweise zu weit.
Die neuen Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur systematischen Auswertung der Antiterrordatei sind teilweise verfassungswidrig. Im Bereich der Strafverfolgung sei die sogenannte erweiterte Datennutzung unverhältnismäßig ausgestaltet, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss. Konkret beanstandete das Gericht dabei den Anfang 2015 in Kraft getretenen § 6a Abs. 2 Satz 1 Antiterrordateigesetz (ATDG). Der regelt, inwieweit in einer Sache beteiligte Behörden die Daten erweitert nutzen darf. Die Regelung sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit nichtig (Beschl. v. 10.11.2020, Az. 1 BvR 3214/15). Im Übrigen sei § 6a ATDG jedoch verfassungsgemäß.
Die Antiterrordatei ist eine der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienende Verbunddatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder. Die Datei wurde 2007 eingerichtet und wird beim Bundeskriminalamt (BKA) geführt. Die Datensammlung soll helfen, durch schnellen Informationsaustausch insbesondere islamistische Terroranschläge zu verhindern. In einem ersten großen Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht die umstrittene Datei 2013 grundsätzlich gebilligt, einzelne Vorschriften jedoch für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz musste überarbeitet werden.
Die Verfassungsbeschwerde, über die das Gericht jetzt entschied, richtete sich gegen den bei der Reform neu eingefügten § 6a ATDG, der die "erweiterte projektbezogene Datennutzung" regelt. Er erlaubt den Behörden erstmals, über systematische Suchanfragen Querverbindungen zwischen gespeicherten Datensätzen herzustellen, um so neue Erkenntnisse zu gewinnen (sogenanntes Data-Mining). Der Beschwerdeführer, ein pensionierter Richter, der auch schon beim ersten Urteil Beschwerdeführer war, sah sich durch die Regelung in § 6a ATDG in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.
"Verdichteter Tatverdacht" für ausgeweitetes Data-Mining erforderlich
Das BVerfG hielt seine Verfassungsbeschwerde für teilweise begründet. Der Eingriff durch § 6a Abs. 2 Satz 1 ATDG sei nicht gerechtfertigt und die Regelung unverhältnismäßig. Für die erweiterte Nutzung der Antiterrordatei zur Strafverfolgung "muss ein durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht vorliegen, für den konkrete und verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorhanden sind." Dem werde die Regelung aber nicht gerecht. Sie lasse die "Erforderlichkeit im Einzelfall" zur Aufklärung "weitere[r] Zusammenhänge des Einzelfalls" genügen. Zur Nutzung der Datei zur Strafverfolgung sei aber ein vom strafprozessualen Anfangsverdacht verschiedener "verdichtetet Tatverdacht" erforderlich, so die Karlsruher Richter.
Die Befugnisse bei der Sammlung von Informationen zum internationalen Terrorismus und zur Verhinderung von Anschlägen in § 6a Abs. 1 und 3 ATDG seien dagegen verfassungsgemäß. "Den Bestimmungen sind im Wege der Auslegung hinreichend normenklar geregelte Eingriffsschwellen zu entnehmen, welche den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen", heißt es zur übrigen Ausgestaltung der Norm aus Karlsruhe.
dpa/acr/LTO-Redaktion
BVerfG beanstandet erweiterte Datennutzung: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43714 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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