Wenn die medizinischen Ressourcen nicht ausreichen, müssen Ärzte darüber entscheiden, wer gerettet wird und wer nicht. Eine verbindliche Regelung zur Triage gibt es vorerst aber nicht, wie das BVerfG entschied.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwingt den Gesetzgeber vorerst nicht, verbindlich zu regeln, wen Ärzte in der Corona-Pandemie bei Engpässen retten sollen und wen nicht. Das Karlsruher Gericht lehnte einen Eilantrag mehrerer Beschwerdeführer mit Behinderungen und Vorerkrankungen ab, wie am Freitag mitgeteilt wurde (Beschl. v. 16.07.2020, Az. 1 BvR 1541/20).
Die Triage-Situation beschreibt das Dilemma, in dem Ärzte und Helfer in einem Katastrophen-Szenario nicht alle Verletzten oder Kranken retten können und deshalb priorisieren müssen. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde dieses Szenario mancherorts zur bitteren Realität – etwa in Italien.
Gesetzliche Vorgaben, wie Ärzte in einer solchen Situation handeln sollen, gibt es in Deutschland bislang nicht. Der deutsche Ethikrat und verschiedene medizinische Fachgesellschaften haben aber Empfehlungen publiziert. Auch unter Juristen ist umstritten, wie in der Triage-Situation gehandelt werden sollte.
Die Beschwerdeführer gehören allesamt zur Risikogruppe, bei der im Fall einer Corona-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Sie befürchten, aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden. Die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung seien bei ihnen statistisch gesehen schlechter. In der Triage-Situation seien nach den bisherigen Empfehlungen aber gerade diese Erfolgsaussichten für die Zuteilung von medizinischen Ressourcen entscheidend.
Triage-Situation unwahrscheinlich
Die Beschwerdeführer sahen darin unter anderem eine Verletzung ihrer Menschenwürde und ihres Rechts auf Leben und Gesundheit. Gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers erhoben sie Verfassungsbeschwerde. Außerdem solle die Bundesregierung vorläufig ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.
Das BVerfG lehnte ihren Eilantrag jedoch ab. Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. "Sie wirft vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten ist und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reicht", hieß es. Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Eilverfahren aber nicht möglich sei.
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber überhaupt im Eilverfahren zur Gesetzgebung verpflichtet werden kann, ließ das Gericht offen. Denn schon die an den bisherigen Maßstäben orientierte Folgenabwägung rechtfertige den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht. "Das momentan erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten lassen es in Deutschland derzeit nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass die Situation der Triage eintritt", so das Gericht in einer Mitteilung.
Auch die Forderung der Beschwerdeführer nach der Benennung eines Gremiums durch die Bundesregierung, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regelt, lehnte das BVerfG. Laut Gericht würde ein solches Gremium die Situation der Beschwerdeführer nicht verbessern. "Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankommt."
acr/LTO-Redaktion
BVerfG lehnt Eilantrag ab: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42492 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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