Eine Syrisch-Orthodoxe Kirche, gebaut in einem Industriegebiet, wollte ihren Keller zu einer Krypta umbauen. Die Behörden und Gerichte gaben dafür keine Erlaubnis. Damit haben sie die Grundrechte der Gemeinde verletzt, entschied das BVerfG.
Das Gewicht einer religiösen Verhaltensvorgabe ist eine genuin religiöse Frage, die der selbständigen Beurteilung durch die staatlichen Gerichte entzogen ist. Dies hat die 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit am Freitag veröffentlichtem Beschluss bekräftigt und ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg aufgehoben, mit dem einer Glaubensgemeinschaft die Einrichtung einer Begräbnisstätte für Gemeindepriester in ihrer Kirche versagt worden war (Beschl. v. 09.05.2016, Az. 1 BvR 2202/13).
Die Beschwerdeführerin war eine vereinsrechtlich organisierte Glaubensgemeinschaft und gehört der Erzdiözese der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland an. Im Jahr 1994 errichtete sie auf einem Grundstück in einem Industriegebiet ein Kirchengebäude. Im Jahr 2005 beantragte die Kirche die Genehmigung zur Umnutzung eines Lagerraums im Untergeschoss des Kirchengebäudes in eine Krypta mit zehn Begräbnisplätzen, was von den zuständigen Behörden abgelehnt wurde.
Das verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen die Versagung der Genehmigung blieb ohne Erfolg. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Kirche im Wesentlichen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG).
Staatliche Zurückhaltung bei Frage der Pietät
Diese Grundrechte haben die Verwaltungsgerichte auch verletzt, entschied das BVerfG. Der in der Versagung der Einrichtung einer Krypta liegende Eingriff erweise sich verfassungsrechtlich als nicht gerechtfertigt. Das Recht, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, betreffe nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen. Davon ausgehend zählen auch die Bestattung kirchlicher Würdenträger nach bestimmten glaubensgeleiteten Riten und die dementsprechende Totensorge zu den geschützten Betätigungen, entschied der Senat.
Als verfassungsimmanente Schranken schieden laut BVerfG der postmortale Achtungsanspruch, die Totenruhe und das Pietätsempfinden der Hinterbliebenen oder der Allgemeinheit aus. Zum einen sei es der mutmaßliche Wille des Geistlichen, in der Krypta seine letzte Ruhestätte zu finden. Soweit infolge industriegebietstypischer Immissionen ein würdiges Totengedenken der Hinterbliebenen vereitelt zu werden drohe, müsse bei einem freiheitlich orientierten Verständnis Raum für eine individuelle Definition würdigen Totengedenkens bleiben. Der Staat habe sich demzufolge jedenfalls in Grenzfällen bei der Frage Zurückhaltung aufzuerlegen, welche Form von Totengedenken noch pietätvoll ist und welche nicht mehr.
Nutzungskonflikt mit Nachbarn unwahrscheinlich
Auch das Eigentumsrecht und die Berufsfreiheit der Grundstücksnachbarn vermochte die Versagung der Genehmigung nicht zu rechtfertigen. Diese befürchteten, mit Auflagen belastet zu werden, wie etwa eine Begrenzung der Nutzung des Grundeigentums oder Lärmschutzvorkehrungen für ihre Maschinen.
Es fehle aber an Feststellungen dazu, wie die bestehende Kirche gegenwärtig im Einzelnen genutzt wird, an welchen Tagen in den umliegenden Industriebetrieben gearbeitet wird und wie sich im Hinblick darauf gerade durch die Zulassung der Krypta im Einzelnen eine zusätzliche Belastung ergeben könnte, befanden die Richter. Den Feststellungen des VGH lasse sich auch nicht entnehmen, inwieweit die gewöhnliche Nutzung der geplanten Krypta - wenn überhaupt - über den reinen Gottesdienstbetrieb hinaus einen Nutzungskonflikt nennenswerten Ausmaßes begründen könnte.
Der VGH nahm an, dass die Glaubensregeln der Glaubensgemeinschaft zwar einen anerkennungsfähigen Belang des Wohls der Allgemeinheit darstellen, jedoch vernünftigerweise nicht die Genehmigung der Einrichtung der Krypta geböten. Damit werde er dem Gewährleistungsgehalt des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG aber nicht gerecht.
Keine Bewertung der Glaubensregeln
Die Vorinstanzen überschreiten damit die Grenzen der gerichtlichen Plausibilitätsprüfung, wenn sie der Kirche einen - für sie - zwingenden Charakter des Gebots einer "Hauskirchenbestattung" für Priester absprechen, so die Verfassungsrichter. Bei der Frage, welchen Grad an Bedeutung eine Glaubensgemeinschaft einer Glaubensregel zumisst, handele es sich zunächst um eine genuin religiöse, die als solche der selbständigen Beurteilung durch die staatlichen Gerichte entzogen sei. Zum Beleg der Existenz einer zwingenden Glaubensregel genüge die substantiierte und nachvollziehbare Darlegung, dass die in Rede stehende Verhaltensweise nach gemeinsamer Glaubensüberzeugung als verpflichtend empfunden wird.
Ist für die betreffende Glaubensgruppe das Bestehen verpflichtender Vorgaben dargelegt, habe sich der Staat, der ein solches religiöses Selbstverständnis nicht unberücksichtigt lassen dürfe, einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnis zu enthalten. Nach diesen Maßstäben sei es nicht zulässig, der Kirche den zwingenden Charakter der angeführten Glaubensregel der "Hauskirchenbestattung" für Priester ohne Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe abzusprechen.
Zudem sei bereits nicht ersichtlich, worin konkret der graduelle Unterschied im Ausmaß der nachbarlichen Rücksichtnahmepflichten zwischen einer Kirche mit und ohne Krypta liegen soll.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zu umstrittener Krypta: . In: Legal Tribune Online, 17.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19703 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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