In seinem früheren Leben als Parteipolitiker wirkte der jetzige BVerfG-Vize Stephan Harbarth am Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen mit. Dieses steht nun in Karlsruhe auf dem Prüfstand, Harbarth entscheidet mit.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird mit seinem Vizepräsidenten Stephan Harbarth über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen entscheiden. Es bestünde kein ausreichender Anlass dafür, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln, wie der Erste Senat in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss entschied (Beschl. v. 05.12.2019, Az. 1 BvL 7/18).
Es geht um Harbarths Mitwirkung an einem Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der seit 2017 geltende Regelungen zur Bekämpfung von Kinderehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG vorgelegt. Laut dem Gesetz ist eine Ehe mit einem Minderjährigen, die nach ausländischem Recht wirksam sein kann, nach deutschem Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung grundsätzlich als Nichtehe zu qualifizieren, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht 16 war. Der BGH zweifelte an der Vereinbarkeit des Gesetzes mit den Art. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Harbarth, der bis zu seinem Wechsel nach Karlsruhe im November 2018 Fraktionsvize der Union im Bundestag war, hatte den Ersten Senat um eine Entscheidung darüber ersucht, ob bei ihm die Besorgnis der Befangenheit bestehen könnte. In einer Erklärung gibt Harbarth an, als Bundestagsabgeordneter "intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen eingebunden" gewesen zu sein. So habe er in Gremien, auf Veranstaltungen und in den Medien für ein Verbot geworben. Er habe aus rechtspolitischen Gründen zwar ein Modell favorisiert, das im Grundsatz von der Aufhebbarkeit von Kinderehen ausgehen sollte, den vom Bundestag verabschiedeten Kompromiss aber letztlich mitgetragen.
Keine verfassungsrechtliche Vorfestlegung
Harbarths Senatskollegen sehen jedoch keinen Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln - jedenfalls die meisten, denn laut Beschluss gab es auch Gegenstimmen.
Da § 18 Abs. 3 Nr. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eine vorhergehende Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich akzeptiert, müssten weitere Umstände hinzukommen, die auf eine verfassungsrechtliche Vorfestlegung schließen lassen, so der Senat. Harbarth habe damals aber rein rechtspolitisch argumentiert und nichts verfassungsrechtlich bewertet. Die nötige Offenheit in den zentralen Fragen sei ihm deshalb nicht abzusprechen.
Der Erste Senat rekurrierte auch auf die im März 2018 ergangene Entscheidung zum Ausschluss von Richter Peter Müller. In der Entscheidung habe der Zweite Senat die Besorgnis der Befangenheit nicht auf dessen frühere Stellung als Ministerpräsident des Saarlandes an sich gestützt, sondern auf die konkrete Art und das konkrete Ausmaß seiner Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbststötung (§ 217 Strafgesetzbuch), um die es letztlich ging.
Der 48-jährige Harbath soll in diesem Frühjahr den ausscheidenden Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle ablösen. Bei seinem Amtsantritt Ende 2018 hatte es Kritik an der Wahl eines Berufspolitikers gegeben. So müsse er als Verfassungsrichter regelmäßig über die von ihm selbst beschlossenen Gesetze entscheiden. Außerdem sei Harbarth Partner der Rechtsanwaltskanzlei SZA Schilling Zutt & Anschütz, die auch VW im Diesel-Skandal vertrete. Hieraus könnten sich ebenfalls Interessenskonflikte ergeben. Verhindern konnten diese Argumente seine Wahl nicht: Die Mehrheit im Bundestag hielt dagegen, dass gerade Harbarths Erfahrungen als Politiker und Anwalt das Gericht bereicherten.
acr/LTO-Redaktion
Bundesverfassungsgericht: . In: Legal Tribune Online, 16.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39709 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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