Die CDU will die Regeln für den Bezug staatlicher Leistungen radikal verschärfen und hat ein Konzept zum Umbau des Bürgergelds beschlossen. Vor allem "Totalverweigerer" sollen hart sanktioniert werden.
Die CDU will das Bürgergeld verändern und insbesondere verbindlichere Anforderungen und Sanktionen für Bezieher einführen, falls sie die nächste Bundesregierung stellt. Der CDU-Vorstand beschloss deshalb einstimmig ein Konzept zum Umbau des Bürgergelds zu einer "Neuen Grundsicherung".
Nach den Plänen der CDU müssten Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen, "ansonsten entfallen Sozialleistungen", sagte Generalsekretär Carsten Linnemann am Montag. Das Konzept werde zu den zentralen Positionen der CDU im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 gehören. Es gebe Berechnungen, nach denen es eine Steuerersparnis von etwa drei Milliarden Euro gäbe, wenn nur 100.000 Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit kämen.
Das Bürgergeld hatte nach einer Reform der Ampel-Koalition Anfang 2023 das Hartz-IV-System (Arbeitslosengeld II) abgelöst. Im Zuge dessen wurde beispielsweise der Regelsatz für Leistungsempfänger angehoben und Möglichkeiten zur Weiterbildung gestärkt, gleichzeitig mehr Leistungsempfängern mehr Vertrauen geschenkt und weniger auf Zwang und Sanktionen gesetzt.
CDU: "Totalverweigerer" nicht bedürftig
Nach dem nun beschlossenen Konzept der CDU sollen die Sozialleistungen künftig "Neue Grundsicherung" statt "Bürgergeld" heißen. Der Name "Bürgergeld" führe laut dem Beschluss in die Irre und sei Ausdruck des politischen Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Die CDU will außerdem Sanktionen schneller, einfacher und unbürokratischer durchsetzen. Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne sachlichen Grund eine "ihm zumutbare Arbeit ab ("Totalverweigerer"), soll zukünftig davon ausgegangen werden, dass er nicht bedürftig ist", heißt es im Beschluss. Ein Anspruch auf Grundsicherung bestehe dann nicht mehr. Arbeitsunwilligen sollen Leistungen damit vollständig und dauerhaft gestrichen werden.
Auch die Mitwirkungspflicht gegenüber den Arbeitsvermittlern soll strenger werden. Empfänger, die ohne sachlichen Grund mehr als einmal an den Gesprächen nicht teilnehmen, dürften so lange keine Leistungen mehr bekommen, bis sie wieder erscheinen. "Diese einbehaltenen Leistungen sollen erst dann ausgezahlt werden, wenn der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird", heißt es in dem Papier. Nach drei Monaten ohne Kontakt zum Jobcenter werde angenommen, dass keine Hilfsbedürftigkeit mehr vorliege.
Auch wer Vermögen habe, heißt es in dem Beschluss weiter, "darf die Solidarität der Steuerzahler nicht in Anspruch nehmen". Die derzeit gültige Karenzzeit von zwölf Monaten, in der nur "erhebliche Vermögen" von mehr als 40.000 Euro berücksichtigt werden, müsse entfallen.
Nach ihrer Einführung soll die "Neue Grundsicherung" in einem zweiten Schritt auf andere staatliche Leistungen wie Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss abgestimmt werden.
"Bisherige Regelung frustriert die Fleißigen und schwächt die Bereitschaft zur Solidarität"
In dem Beschluss zur "Neuen Grundsicherung" heißt es, die bisherige Regelung "alimentiert und lähmt die Menschen. Sie frustriert die Fleißigen und schwächt damit die Bereitschaft zur Solidarität. Und letzten Endes ist sie ineffizient und teuer". Zwar könne sich in Deutschland weiterhin jeder "darauf verlassen, dass ihm geholfen wird, wenn er Hilfe benötigt" – das mache eine Gesellschaft "stark und widerstandfähig". Es gebe jedoch eine "Minderheit, die sich nicht an die Regeln hält bzw. diese ausnutzt" und dadurch "das gesamte System in Verruf" bringe, wie es in dem CDU-Papier heißt.
Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA), Karl-Josef Laumann, sprach von einem "sehr ausgewogenen Vorschlag", mit dem Solidarität und Eigenverantwortung im Sozialsystem wieder neu justiert würden. "Es gibt immer mehr Menschen, die sich die Frage stellen, ob das alles noch richtig ist, was jetzt ist", sagte er am Montag.
CSU-Chef Markus Söder erklärte in München, die CSU stehe voll hinter den CDU-Plänen. "Wir empfinden es ohnehin seit Monaten so, dass CDU und CSU da echt im Gleichklang marschieren."
Kritik von Ampel und Arbeitnehmerverbänden
Der stellvertretende Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag, Andreas Audretsch, sagte über diese Pläne: "Die CDU-Grundsicherung ist eine Bedrohung für Familien, vor allem für Selbstständige, für die Altersvorsorge, das Häuschen." SPD-Chef Lars Klingbeil hatte schon am Wochenende vor Angriffen auf den Sozialstaat gewarnt. "Die Höhe des Bürgergeldes ist durch einen Verfassungsgerichtsbeschluss festgelegt. Das ist jetzt umgesetzt worden, übrigens mit Zustimmung der Union", sagte er am Sonntag, noch bevor die CDU ihr Papier vorstellte.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete die Pläne als "Frontalangriff" auf das sozialstaatliche Sicherungsversprechen. "Sie schaden allen Beschäftigten, die in unsicheren Zeiten befürchten müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Michael Groß, warnte, das Konzept der CDU werde "keines der Probleme armutsbedrohter Menschen und auch nicht den Fachkräftemangel lösen". Es wiederhole vielmehr falsche Vorurteile.
Offen bleibt, mit wem die Union diese Pläne nach der Bundestagswahl 2025 umsetzen könnte. SPD und Grüne lehnen den Vorschlag strikt ab. Generalsekretär Linnemann sagt dazu: "Wenn wir uns jeden Tag Gedanken machen", was man mit wem durchsetzen könne, könnte man sich die ganze Programmarbeit sparen. Eine Partei dürfe "nie in Kompromissen denken, sie muss immer sagen, was sie machen würde, wenn sie die absolute Mehrheit hätte".
Bürgergeld und Sanktionen: Die aktuelle Situation
Unklar ist, wie viele Personen von einer Neuregelung nach Vorstellungen der CDU erfasst wären.
Nach Angaben von statista bezogen im Jahr 2024 durchschnittlich rund 3,98 Millionen erwerbsfähige Personen in Deutschland Bürgergeld pro Monat. Zusätzlich gab es rund 1,54 Millionen nicht erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld.
Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen sind seit Anfang 2023 nach der Ampel-Reform von Beginn des Leistungsbezugs an möglich. Bei einem Meldeversäumnis wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert. Auch bei der ersten Pflichtverletzung, etwa der Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebotes, wird der Regelbedarf um zehn Prozent für einen Monat gemindert. Bei einer zweiten Pflichtverletzung sind es 20 Prozent für zwei Monate und in der dritten Pflichtverletzung 30 Prozent für drei Monate. Anfang 2024 wurde zudem eine weitere Sanktionsregelung beschlossen: Danach können Jobcenter Betroffenen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn sie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit beharrlich verweigern. Das Jobcenter zahlt dann also nur noch die Miete. Dieser Schritt soll in Kürze mit dem "Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz" in Kraft treten.
Generalsekretär Linnemann konnte am Montag selbst keine Angaben dazu machen, wie viele "Totalverweigerer" es in Deutschland gebe und wie viel Geld mit dem Vorschlag eingespart werden könnte. Ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit teilte nach Angaben der Tagesschau mit, dass man keine genauen Zahlen zu "Totalverweigerern" habe. Statistisch erfasst werde aber der Minderungsgrund "Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses". In den ersten elf Monaten des Jahres 2023 seien das insgesamt 13.838 Fälle gewesen. Minderungen wegen einer Weigerung seien eher selten, so der Sprecher der Bundesagentur für Arbeit. Zuletzt seien mehr als 80 Prozent der Minderungen wegen Meldeversäumnissen festgestellt worden, also weil Bürgergeldempfänger ohne wichtigen Grund nicht zu einem Termin erschienen.
Ähnliches berichtet der Sprecher der Jobcenter in NRW, Stefan Graaf, nach Angaben von F.A.Z.: "Wir reden da wirklich über extreme Einzelfälle, die sich so im Ein-, Zwei-Prozent-Bereich bewegen. Das zeigt uns auch, dass die Debattenbeiträge um das Bürgergeld oft ein sehr verengtes und teilweise auch unzutreffendes Bild wiedergeben, weil sie sich an Extremfällen orientieren und nicht an der Allgemeinheit der von uns betreuten Menschen", sagte Graaf am Dienstag.
BVerfG-Rechtsprechung zur menschenwürdigen Existenz
Bei der Höhe der Leistungen und der Ausgestaltung der Sanktionen sind die Anforderungen für eine menschenwürdige Existenz zu beachten, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. Bereits im November 2019 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass eine Kürzung von 100 Prozent grundsätzlich nicht zulässig ist (Urt. v. 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16). Um das vom Grundgesetz vorgegebene Existenzminimum zu sichern, dürfen die Sanktionen laut BVerfG nicht zu weit gehen. Kürzungen in Höhe von 30 Prozent seien vertretbar, wenn Bezieher ihren Pflichten nicht nachkommen, 60 oder 100 Prozent aber nicht.
Nach Ansicht von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ist der CDU-Vorschlag trotz dieses Urteils verfassungskonform. Zum einen wolle man Totalverweigerern nur die Grundsicherung streichen, während die Kosten für Wohnung und Heizung weiter vom Staat übernommen werden sollen. Zum anderen werde man sicherstellen, dass Partner und Kinder von "Totalverweigerern" keinen Schaden nehmen.
dpa/cho/LTO-Redaktion
"Neue Grundsicherung" ankgekündigt: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54146 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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