Will der Vermieter die Wohnung verkaufen, muss der Mieter ihm und den Kaufinteressenten Zutritt gewähren, entschied der BGH. Ob das auch bei schwerer psychischer Erkrankung des Mieters gilt, muss das Tatgericht nun erneut klären.
Was wiegt stärker: das Eigentumsrecht des Vermieters an der vermieteten Wohnung oder das Recht des Mieters, in seinem Lebensmittelpunkt in Ruhe gelassen zu werden?
Diese Frage hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 2014 in einem Mietrechtsstreit zu entscheiden – und beantwortete sie differenziert: Mietvertragliche Klauseln, die dem Vermieter den Zutritt zur Mietwohnung ohne besonderen Anlass gestatteten, seien unwirksam. Allerdings "besteht eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, nur dann, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt" (Urt. v. 04.06.2014, Az. VIII ZR 289/13).
Wohnungsbesichtigung mit Kaufinteressenten ist sachlicher Grund
Diese beiden Voraussetzungen – sachlicher Grund und angemessene Vorankündigung – schienen in einem neuerlichen Rechtsstreit auf den ersten Blick erfüllt: Der Vermieter wollte seine Wohnung verkaufen und zu diesem Zweck Kaufinteressenten durch die Wohnung führen. Die Mieterin sollte auch darin wohnen bleiben, denn der Verkauf der Mietsache lässt das Mietverhältnis unberührt, nur der Vermieter wechselt (§ 566 BGB). Es ging in diesem Fall allein um den Zutritt zum Zweck der Besichtigung.
Angesichts des Urteils von 2014 wenig überraschend, sah der BGH die Mieterin mit kürzlich veröffentlichtem Urteil grundsätzlich in der Pflicht, Vermieter bzw. Bevollmächtigte sowie Kaufinteressenten in die Wohnung zu lassen (Urt. v. 26.04.2023, Az. VIII ZR 420/21). Dies folge zum einen – wie der BGH 2014 schon entschieden hatte – aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sowie im vorliegenden Fall aus einer zulässigen mietvertraglichen Klausel.
Die Besichtigung zum Zwecke des Verkaufs sei ein grundsätzlich berechtigender Grund, so der BGH. Die damit einhergehende Beeinträchtigung der Mieterinteressen sei "lediglich geringfügig", diese müssten daher "regelmäßig hinter dem Interesse des Vermieters, über sein Eigentum frei verfügen und dieses bei Bedarf veräußern zu können, zurücktreten".
Steht schwere psychische Erkrankung dem Zutritt entgegen?
Die besondere Problematik des Falls ist aber eine ganz andere: Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte das Zutrittsrecht im konkreten Fall wegen einer schweren psychischen Erkrankung der Mieterin am Ende verneint (Urt. v. 30.11.2021, Az. 7 S 5584/20). In die Interessenabwägung hatte es nicht nur Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 14 GG (Eigentum), sondern auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einbezogen – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Mieterin.
Es hatte zu diesem Zweck ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches der Mieterin ein "komplexes psychisches Störungsbild mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen Störungen" attestierte, weswegen sich diese "seit über 20 Jahren in – teilweiser stationärer – psychiatrischer Behandlung" befinde. Die Mieterin habe "mehrfach Suizidversuche unternommen". Mit Blick auf eine Wohnungsbesichtigung war das Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass "ein hohes Risiko für Handlungen mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid bestehe. Der ohnehin schon schlechte psychische Gesundheitszustand der Beklagten drohe sich im Falle eines Betretens der Wohnung durch Dritte weiter zu verschlechtern", so das Gutachten.
Vor diesem Hintergrund überrascht nun doch, dass der BGH das Urteil des LG auf die Revision des Vermieters aufhob. Doch die Begründung ist interessant – wenn auch eher revisions- als materiell-zivilrechtlich: Das Urteil des LG weist laut BGH "in einem entscheidenden Punkt" Rechtsfehler auf. Dies betreffe die tatrichterliche Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO, die im Rahmen der Revision eigentlich "nur eingeschränkt überprüft werden" kann: auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und "Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze". "Derartige Fehler sind dem Berufungsgericht hier aber unterlaufen", so der BGH.
Die Würdigung des psychiatrischen Gutachtens sei unvollständig, so der BG.: Das LG habe sich nicht mit einer einschränkenden Passage auseinandergesetzt, "wonach sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die [Mieterin] bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Beklagten verringere".
Ob diese Möglichkeit vorliegend in Betracht kommt und ob diese Einschränkung nicht in Widerspruch zu anderen im Gutachten getroffenen Feststellungen steht, wonach schon eines dem Vermieter Recht gebende Urteil ein Gesundheitsrisiko bedeute, habe das LG nicht überprüft. Nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung durch den BGH muss das LG diese Fragen nun tatrichterlich klären.
BGH zum Zutrittsrecht des Vermieters: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52064 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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