Eine ehemalige Jura-Dozentin kann der Presse nicht verbieten, über ihre Plagiate bei Promotion und Habilitation zu schreiben, entschied der BGH. Es verbiete sich eine vorweggenommene Abwägung vor der veröffentlichten Berichterstattung.
Journalisten darf nicht schon im Vorfeld verboten werden, über wissenschaftliche Plagiate zu berichten. Das geht aus einem nun bekannt gewordenen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hervor. Der beklagte Journalist darf nun auch weiterhin über den Doppelplagiatsvorwurf gegenüber einer Juristin schreiben (Urt. v. 09.03.2021, Az. VI ZR 73/20).
Bei dem Fall in Karlsruhe ging es um die Plagiatsvorwürfe sowohl gegen die Habilitations- als auch der Promotionsschrift einer Juristin, die Ende 2016 und Anfang 2017 aufkamen. In der Folge verzichtete sie auf ihre verliehene Bezeichnung als "Privatdozentin" und wurde auf ihr Verlangen aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen. Die Hochschule erkannte ihr die Habilitation ab, weil sich die Plagiatsvorwürfe nach einer Untersuchung aus ihrer Sicht bestätigten. Ähnlich sah es auch das Verwaltungsgericht, wo die frühere Dozentin erstinstanzlich unterlag. Das Berufungsverfahren ist zurzeit noch anhängig.
Geklagt hatte die Frau aber auch zivilrechtlich gegen einen freien Journalisten, der in mehreren Artikeln, unter anderem in der FAZ, unter Namensnennung über den doppelten Plagiatsvorwurf berichtet hatte und dies auch weiterhin tun will. Um neue Beiträge zu verhindern, nahm die Frau den Journalisten vorbeugend auf Unterlassung in Anspruch. Ihre Klage, die vor dem Landgericht (LG) Frankfurt am Main noch Erfolg gehabt hatte, wies das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main vollumfänglich ab.
Kein Recht auf Vergessenwerden nach Plagiaten?
In dem Fall steht auf der einen Seite das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, in das der Journalist mit seiner Berichterstattung eingreift, weil der gute Ruf der Betroffenen beeinträchtigt wird. Auf der anderen Seite steht das ebenfalls grundrechtlich verankerte Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit, sodass abgewogen werden muss.
Die Rechtsprechung hat für diese Abwägung bereits in vergangenen Entscheidungen - etwa bei Online-Archiven - einige Kriterien entwickelt, unter anderem das Sphärenmodell, dass berücksichtigt, wie intim die Lebensbereiche sind, in die der Eingriff stattfindet. Hinzu treten aber auch unter anderem Kriterien wie der Zeitablauf zum Geschehen, das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung und der Verschuldensanteil der betroffenen Person selbst.
Für den konkreten Fall bedeutete das nun Folgendes: Der BGH konnte nicht feststellen, dass die Abwägung in jedem Falle zugunsten der Juristin ausfalle. Über die Art und Weise einer zukünftigen Berichterstattung lasse sich nur spekulieren. Dies ließ der Senat für die Annahme eines vorbeugenden Unterlassungsanspruch aber nicht ausreichen.
Wissenschaftlichen Werke bleiben in der Welt
Für die konkrete Abwägung lohnt sich ein Blick in die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main, das Vorinstanz war. Der dortige Senat sah die Verfasserin lediglich in ihrer sogenannten Sozialphäre betroffen, weil sich die Berichtberichterstattung auf ihre frühere berufliche Tätigkeit beziehe. Dass sich die Juristin mittlerweile aus ihrem früheren Leben zurückgezogen hat, spiele in diesem Fall nun keine Rolle. An dieser Stelle zeige sich nämlich der Unterschied des Plagiats zu anderen Fällen: Sowohl die Doktorarbeit als auch die Habilitationsschrift der Juristin bleiben als wissenschaftliche Werke in der Welt.
Die Werke seien an Hochschulen und in weiteren Bibliotheken vorhanden und dienten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, schreiben die Frankfurter Richter und Richterinnen hierzu in ihrer Entscheidung und leiten daraus ein berechtigtes Interesse für die Öffentlichkeit ab. Ohne die namentliche Nennung der Autorin würde die Fortwirkung auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt und es trete eine "Perpetuierung" ein.
Die persönliche Verantwortung der Verfasserin ergibt sich nach der vom BGH bestätigten Berufungsentscheidung gerade daraus, dass es die Frau selbst gewesen ist, "die so gearbeitet hat, dass ihre Werke dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt worden seien." Ein Recht auf Vergessenwerden habe sie nicht. Gerade ihre Habilitationsschrift stehe noch im wissenschaftlichen Diskurs und sei selbst vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zitiert worden.
Keine vorweggenommene Abwägung
Insgesamt macht das OLG in seiner Entscheidung deutlich, dass für die Berichterstattung über wissenschaftliche Plagiate nicht dieselben Maßstäbe wie etwa für die Verdachtsberichterstattung über Straftaten gelten, weil sich der Verfasser solcher Texte mit einer wissenschaftlichen Schrift "in einen öffentlichen Diskurs" begebe. Ebenso wie über begründete sachliche Einwände dürfe deshalb auch darüber berichtet werden, wenn gegen die Regeln des wissenschaftlichen Zitierens verstoßen werde. Für die klagende Frau in diesem Verfahren gelte das im Besonderen, da gegen sie sogar der Vorwurf des Doppel-Plagiats im Raum stehe.
Dem BGH reichten nun jedenfalls Spekulationen darüber, ob und welche Tatsachen- und Meinungsäußerungen zukünftige Beiträge des Journalisten haben könnten, nicht aus, um einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch zu rechtfertigen. Eine vorweggenommene Abwägung verbiete sich schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte, so der VI. Zivilsenat.
Der beklagte Journalist zeigte sich nach seinem Sieg in Karlsruhe gegenüber LTO erleichtert. "Das Ergebnis hilft allen Medien, die regelmäßig über Plagiatsfälle berichten. Denn es ist nun klar, dass man über Plagiatsfälle auch mit Klarnamen der Verantwortlichen berichten darf."
BGH verneint Unterlassungsanspruch: . In: Legal Tribune Online, 30.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44862 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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