Können Tipper Verluste zurückverlangen, wenn der Sportwettenanbieter keine Konzession hat? Eigentlich wollten sich Wettanbieter und Spieler in einem Tipico-Fall hierüber außergerichtlich einigen. Jetzt muss aber doch der BGH entscheiden.
Mehrere Spieler verklagen derzeit Wettanbieter. Sie fordern Rückerstattung ihrer Verluste, weil die Anbieter nicht über die erforderliche Lizenz verfügten, um Online-Glücksspiele in Deutschland anzubieten. Zum Teil erhalten sie so über eine halbe Millionen Euro verzocktes Geld zurück.
In einem dieser Rechtsstreitigkeiten um Verluste bei mutmaßlich unerlaubten Sportwetten des Wettanbieters Tipico muss nun doch der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden (Az.I ZR 90/23) . Wie ein Sprecher des höchsten deutschen Zivilgerichts am Freitag der Deutschen Presse-Agentur bestätigte, scheiterten außergerichtliche Einigungsbemühungen der Beteiligten. Der erste Zivilsenat des BGH muss das Verfahren daher wieder aufnehmen.
Der Kläger hatte von 2013 bis 2018 an Sportwetten teilgenommen und argumentiert, diese seien wegen fehlender Lizenz unzulässig, die Wettverträge daher unwirksam gewesen. Der Grund: Bis Juli 2021 galt in Deutschland ein weitreichendes Verbot für Online-Glücksspiel nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag a. F. Seit Juli 2021 gilt dagegen der neue Glücksspielstaatsvertrag, der den Online-Glücksspielmarkt liberalisierte. Der Kläger verlangt mehr als 3.700 Euro zurück, was im Vergleich zu anderen Fällen dieser Art eine kleine Summe ist. In dem Verfahren soll es auch um die Frage gehen, wann Ansprüche der Spieler verjähren sollen .
Wollen Sportwettenanbieter BGH-Urteil vermeiden
Die Verhandlung war eigentlich für Anfang März angesetzt. Wenige Tage vor dem geplanten Termin wurde dieser aber aufgehoben, da die Beteiligten einen Vergleich aushandeln wollten. In Verfahren dieser Art entstand vermehrt der Eindruck, verschiedene Sportwettenanbieter wollten eine Grundsatzentscheidung des BGH verhindern.
In der Zwischenzeit ist ein Hinweisbeschluss des BGH zu einem ähnlichen, im Mai geplanten Verfahren bekannt geworden, der den Spielern den Rücken stärkt. Der Sportwettenanbieter Betkick Sportwettenservice hat nach vorläufiger Einschätzung des I. Zivilsenats gegen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags in seiner Fassung von 2012 verstoßen. Der BGH sieht gute Gründe für einen Rückzahlungsanspruch der Spieler aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wie aus dem Beschluss hervorgeht (Beschl. v. 22.03.2024, Az. I ZR 88/23). Einem Rückerstattungsanspruch stehe es auch nicht entgegen, wenn dem Anbieter später doch noch die erforderliche Lizenz erteilt wird. Dieses Verfahren wird am 2. Mai 2024 mündlich verhandelt.
Ronald Reichert von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs, der mehrere Anbieter in derartigen Verfahren vertritt, hat Zweifel daran, ob der BGH nach einer mündlichen Verhandlung daran festhält. "Schließlich widerspricht er mit seiner Beurteilung ganz offen dem Europäischen Gerichtshof." Dieser habe festgestellt, dass den Sportwettveranstaltern, egal ob im Shop oder im Internet, das Fehlen der Konzession damals nicht entgegengehalten werden durfte, weil die Bundesländer den Veranstaltern die Sportwettkonzessionen europarechtswidrig vorenthalten hatten. "Und das Angebot, das die betroffenen Unternehmen gemacht haben, war genau das, was ihnen später von den Behörden genehmigt wurde", erklärte Reichert.
Anders als beim "Dieselskandal" hätten nicht die Anbieter rechtswidrig gehandelt, sondern die Bundesländer beim Konzessionsverfahren. "Der EuGH und die Verwaltungsgerichte haben deshalb ausdrücklich bestätigt, dass gegen die Veranstalter nicht vorgegangen werden durfte", so Reichert. Der BGH versuche das rückwirkend zu korrigieren.
Der BGH wiederum sieht seine vorläufige Beurteilung dem Beschluss zufolge in Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung. Auch eine Vorlage an die Luxemburger Richterinnen und Richter sei nicht nötig, weil die relevanten Fragen schon beantwortet seien, heißt es weiter.
Klärung in Tipico-Verfahren noch offen
Für das Tipico-Verfahren, bei dem jetzt die Vergleichsgespräche scheiterten, gibt es bisher noch keinen neuen Termin für die Verhandlung. Der Spielervertreter und Prozessfinanzierer Gamesright teilte mit, man sei überzeugt, der BGH werde im Sinne des Verbraucherschutzes entscheiden.
"Wir interpretieren den Hinweis des BGH so, dass Spieler auch Anspruch auf Erstattung ihrer Einzahlungen nach Lizenzerteilung haben können", sagte Gamesright-Gründer Hannes Beuck. "Das gilt insbesondere dann, wenn Anbieter gegen das Einzahlungslimit von 1.000 Euro im Monat verstoßen haben. Nach unserer Ansicht sind dies die Meisten."
Tipico hingegen beruft sich darauf, seit seiner Gründung im Jahr 2004 stets eine gültige Lizenz der maltesischen Regulierungsbehörde MGA im Bereich der Sportwette gehabt zu haben. Dass der Anbieter die strengen regulatorischen Vorgaben einhalte, wird dem Sprecher zufolge laufend kontrolliert. "Nachdem der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen die deutsche Rechtslage in der Zeit vor 2020 als unionsrechtswidrig beurteilt hat, fanden die nationalen Regelungen zur Sportwette keine Anwendung." Diese Rechtsauffassung hätten die deutschen Behörden akzeptiert und Tipico danach eine deutsche Konzession erteilt.
Eine höchstrichterliche Entscheidung wäre für Tausende solcher Klagen an zahlreichen Gerichten relevant. Bei Sportwetten geht es um einen Milliardenmarkt. Dem aktuellen Glücksspielatlas zufolge nahmen 2021 fünf Prozent der Bevölkerung an Sportwetten teil.
dpa/cho/LTO-Redaktion
* Zuvor wurde in diesem Artikel behauptet, es würde am 2. Mai über das Tipico-Verfahren verhandelt. Dies ist unrichtig. Am 2. Mai wird über das Hinweis-Beschlussverfahren verhandelt. Zudem wurde die Aussage getroffen, dass der ergangene Hinweisbeschluss in einem Tipico-Verfahren ergangen sei. Auch dies ist unrichtig. Beides wurde korrigiert.
Unerlaubte Sportwetten vor dem BGH: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54374 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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