Wegen eines Fehlers im VVG können bei fehlerhaften Widerspruchsbelehrungen auch uralte Versicherungsverträge heute noch rückabgewickelt werden. Das "ewige Widerspruchsrecht" hat aber seine Grenzen, die der BGH nun auslotete.
Das Zivilrecht kennt verschiedene Gestaltungsrechte, um Verträge nachträglich zu beenden und rückabzuwickeln, meist gelten hierfür jedoch Fristen. Verbraucher müssen über die Beendigungsmöglichkeiten und die geltenden Fristen in der Regel belehrt werden. Fehlt diese Belehrung oder ist sie unrichtig, stellt sich die Frage, ob das Recht auch noch Jahre oder gar Jahrzehnte später ausgeübt werden kann und Leistungen zurückgefordert werden dürfen.
Darum ging es auch im vorliegenden Fall einer 1999 abgeschlossenen Lebensversicherung, die die versicherte Frau 2018 durch Widerspruch beenden wollte. Der Bundesgerichtshof (BGH) versagte ihr dies mit am Donnerstag veröffentlichtem Urteil (v. 19.07.2023, Az. IV ZR 268/21). Zwar sei die Belehrung über das Widerspruchsrecht fehlerhaft gewesen, jedoch habe die Frau treuwidrig gehandelt.
Die Frau hatte mit Abschluss der Lebensversicherung alle Rechte daraus als Sicherheit für ein Baudarlehen an eine Bank abgetreten. Über ihr Widerspruchsrecht war sie von dem Versicherer damals nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Knapp zwanzig Jahre später, im Jahr 2018, widersprach sie dem Abschluss der Lebensversicherung dann, was der Versicherer nicht akzeptieren wollte. Daraufhin klagte die Frau auf Rückzahlung unter anderem der geleisteten Beiträge, insgesamt geht es um fast 114.000 Euro.
Die Geburt des "ewigen Widerspruchsrechts" in Luxemburg
Der BGH hat einen Anspruch der Frau nun in letzter Instanz abgelehnt. Ein Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei wegen des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Frau ausgeschlossen. Zwar könne im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung der Versicherer grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages in Anspruch nehmen. Denn die Situation des "ewigen Widerspruchsrechts" habe er durch die fehlerhafte Belehrung selbst herbeigeführt.
Zum Hintergrund: Im Jahr 2013 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der frühere § 5a Vertragsversicherungsgesetz (VVG) nicht mit Unionsrecht vereinbar sei. Die Regelung – nach der auch die klagende Kundin den Vertrag abgeschlossen hatte – besagte, dass ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über dieses Recht zum Rücktritt belehrt worden ist. Daraus folgte das "ewige Widerspruchsrecht" für Kunden, die nicht ordnungsgemäß über ihre Rechte aufgeklärt worden waren, – ein schwerer Schlag für Versicherungskonzerne.
Versicherung durfte auf unbedingten Bestand des Vertrages vertrauen
Hier allerdings konnte die Frau von dieser Gesetzeslücke für Altverträge nicht profitieren, denn der BGH warf ihr treuwirdriges Verhalten vor (§ 242 BGB).
Sie habe bei Vertragsabschluss 1999 den Eindruck erweckt, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen. Sie habe im Versicherungsantrag angegeben, Anlass für den Abschluss der Lebensversicherung sei der Erwerb einer selbst genutzten Immobilie. Zeitgleich habe sie dem Versicherer auch eine Abtretungserklärung übersandt, aus der sich ergeben habe, dass das Baufinanzierungsdarlehen aus der beantragten Lebensversicherung zurückgezahlt werden solle und dass deshalb alle gegenwärtigen und künftigen Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag an die Bank abgetreten werden würden.
Da die Abtretung zur Tilgung des Baufinanzierungsdarlehens erfolgt sei und ausdrücklich auch die Leistung im Todesfall umfasst habe, habe sie nur bei Bestehen eines wirksamen Lebensversicherungsvertrages ihren Zweck erfüllt. Dieser Umstand sowie der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung habe bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründet, befand der Senat. Diese vertrauensbegründende Wirkung sei für die Frau auch erkennbar gewesen.
pab/LTO-Redaktion
BGH zu Lebensversicherungen: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52508 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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