In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar im Alter zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung sind hoch. Der BGH hat nun entschieden, dass auch älteren Frauen die Kosten erstattet werden können.
Krankenversicherer können verpflichtet sein, auch älteren Frauen die Kosten einer künstlichen Befruchtung zu erstatten. Das stellt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil klar. Ein statistisch gesehen höheres Risiko, eine Fehlgeburt zu erleiden, ist demnach allein noch kein Grund, die Übernahme der Kosten abzulehnen (Urt. v. 04.12.2019, Az. IV ZR 323/18).
In dem Fall aus Bremen ging es um die Behandlung einer 44-Jährigen, deren Mann auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen konnte. Seine private Krankenversicherung hatte die Kosten von rund 17.500 Euro nicht übernehmen wollen und das vor allem mit dem Alter der Frau begründet. Fehlgeburten kämen in dieser Altersgruppe häufiger vor.
Die Karlsruher Richter stuften die vier Anläufe einer künstlichen Befruchtung wegen der Probleme des Mannes als medizinisch notwendige Heilbehandlung ein. Entscheidend dafür sei einzig und allein, dass die Behandlung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft führen könne. Wie diese weiter verlaufe, habe keine Rolle zu spielen.
"baby-take-home-Rate" nicht maßgeblich
Insbesondere sei die Wahrscheinlichkeit einer Geburt, die sogenannte "baby-take-home-Rate", laut BGH nicht maßgeblich. Das mit dem Alter der Mutter steigende Risiko einer Fehlgeburt sei grundsätzlich nicht Gegenstand der Behandlung der Unfruchtbarkeit, "sondern Teil eines allgemeinen Lebensrisikos, welches werdende Eltern unabhängig davon zu tragen haben, ob ihr Kind auf natürlichem Wege oder mit medizinischer Hilfe gezeugt worden ist", hieß es in dem Urteil. Das Selbstbestimmungsrecht des Paares umfasse "grundsätzlich auch die Entscheidung, sich den Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen".
Anders könne die Entscheidung höchstens dann ausfallen, wenn es wegen individueller Gesundheitsbeeinträchtigungen der Eltern nur wenig wahrscheinlich sei, dass das Kind lebend zur Welt komme. Bei dem Ehepaar in dem Fall sah der BGH dafür keine Anhaltspunkte. Die Versicherung muss die Kosten deshalb weitgehend übernehmen.
Die Kostenübernahme bei den privaten Kassen ist sehr unterschiedlich. Dagegen finanzieren die gesetzlichen Kassen nur die ersten drei Versuche anteilig: Diese übernehmen bei den ersten drei Versuchen die Hälfte. Ein staatlicher Zuschuss für die Behandlungen kann in neun Bundesländern beantragt werden, nämlich in Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
In Niedersachsen wurden 2019 nach Angaben des Gesundheitsministeriums insgesamt 3.288 Kinderwunsch-Behandlungen bewilligt. Die Kosten von knapp 2,89 Millionen Euro teilten sich Land und Bund. Niedersachsen sei bei der Förderung bundesweit führend, betonte das Ministerium. "Die Möglichkeit zur Erfüllung des Kinderwunsches darf nicht vom Geldbeutel abhängen", sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) der Deutsche Presse-Agentur.
Die niedersächsischen Paare können beim ersten bis dritten Versuch - je nach Methode - jeweils 800 bis 900 Euro Zuschuss vom Staat erhalten. Beim vierten Versuch verdoppeln sich dem Ministerium zufolge die Beträge auf bis zu 1.800 Euro, weil die gesetzlichen Krankenversicherungen diesen Versuch nicht mehr mitfinanzieren.
dpa/acr/LTO-Redaktion
BGH zur künstlichen Befruchtung: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39481 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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