Eine Richterin sollte ein Verfahren gegen VW führen. Sie hatte aber selbst ein vom Dieselskandal betroffenes Auto gekauft und sich für die Musterfeststellungsklage gegen VW angemeldet. Deshalb sei sie befangen, so der BGH.
Wenn ein Richter in einem Verfahren über den gleichen oder zumindest einen ähnlichen Sachverhalt zu entscheiden hat, wegen dem er selbst gegen eine Partei Ansprüche geltend macht, kann er befangen sein. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem kürzlich ergangenen Beschluss entschieden (Beschl. v. 10.12.2019, Az. II ZB 14/19).
Eine Richterin am Oberlandesgericht Celle (OLG) sollte ein Berufungsverfahren führen. Es ging um eine abgewiesene Beschlussanfechtungsklage. Im Geschäftsjahr waren Vorstands- beziehungsweise Aufsichtsratsmitglieder von VW entlastet worden. Dies war angefochten worden, da die entlasteten Mitglieder es pflichtwidrig unterlassen hätten, Regressansprüche gegen die für den Dieselskandal Verantwortlichen geltend zu machen. Die zuständige Vorsitzende Richtern zeigte daraufhin an, dass sie privat im Sommer 2015 einen vom Dieselskandal betroffenen PKW erworben und sich der Musterfeststellungsklage gegen VW angeschlossen habe. Sie sei deshalb befangen.
Das OLG hielt ihre Ablehnung wegen Befangenheit jedoch für unbegründet (Beschl. v. 17.5.2019, 9 U 69/18). Der Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage sei nämlich ein anderer als der der Beschlussanfechtungsklage, so das Gericht. Und selbst wenn doch von einer Überschneidung der Streitgegenstände ausgehe, sei die Zielsetzung der Musterfeststellungsklage doch eine ganz anderer: Dort ginge es den Klägern um eine Verjährungshemmung und nicht darum, zum Ausdruck zu bringen, dass bestimmte Organmitglieder von VW für die Abgasmanipulationen verantwortlich seien.
Befangenheit schon bei "bösem Schein"
Der BGH sah das nun aber anders. Ein Richter könne nach § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sehr wohl wegen Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, seiner Unparteilichkeit zu misstrauen. Dabei reiche es auch aus, dass der "böse Schein" einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität bestünde. Das sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Richter eigene – seien es auch nur mittelbare – wirtschaftliche Interessen am Ausgang des Rechtsstreits hat.
Nach diesen Maßstäben hat der BGH die Befangenheit der Richterin bejaht. Ihre Anmeldung an der Musterfeststellungsklage sei geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Richterin aufkommen zu lassen. Zwar habe das OLG richtig ausgeführt, dass es um unterschiedliche Streitgegenstände im prozessualen Sinne geht. Allerdings überschneiden sich die Sachverhalte nach Auffassung der Karlsruher Richter in einem solchen Maße, dass möglicherweise in beiden Verfahren dieselben Fragen zu beurteilen sein könnten.
Im Rahmen der Beschlussanfechtungsklage könne es nämlich, so der BGH, im weiteren Verlauf um die Frage gehen, ob Käufer von Fahrzeugen, die von der Manipulation der Abgassteuerungen betroffen sind, Ersatzansprüche gegen VW zustünden und ob VW das Handeln der Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter aus dieser Zeit zuzurechnen sei. Dann nämlich kämen Regressansprüche gegen die Verantwortlichen in Betracht, die bis dato nicht geltend gemacht wurden, sodass die Entlastungsbeschlüsse, um die es in dem Verfahren der Richterin geht, anfechtbar wären.
Gerade um diese Ersatzansprüche gegen VW gehe es aber auch in der Musterfeststellungsklage, führte der BGH aus. Mit ihrer Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren habe die Richterin daher zum Ausdruck gebracht, dass sie durch das pflichtwidrige Handeln von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern von VW geschädigt oder betrogen worden sei. Darin sah der BGH einen ausreichenden Grund zur Annahme der Befangenheit der Richterin und sie sei abzulehnen für das Verfahren hinsichtlich der Beschlussanfechtungsklage.
ast/LTO-Redaktion
BGH zum Abgasskandal: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39903 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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