Im Jugendstrafrecht gilt der Erziehungsgedanke. Doch was ist erzieherisch sinnvoll? Sollen bei einem Jugendlichen, der etwas geraubt hat, nun aber vermögenslos ist, die Taterträge eingezogen werden? Darauf gab der BGH nun eine Antwort.
17.000 Euro erbeutete ein Heranwachsender unter anderem durch besonders schwere räuberische Erpressung und vielfache Betrugstaten. Er wurde vom Landgericht (LG) München II zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Unsicher war das Gericht dann jedoch hinsichtlich der Einziehung der erlangten 17.000 Euro: Der Jugendliche war mittlerweile nämlich nicht mehr bereichert und im Übrigen vermögenslos. Entspricht es dem im Jugendstrafrecht geltenden Erziehungsgedanken, diesen Betrag trotzdem bei dem jungen Mann einzuziehen?
Durch Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Juli 2017 wurde die Einziehung von Taterträgen vereinfacht und neu in § 73 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet. Diese Regelungen können auch weitreichend sein, wie der BGH bereits in einer Entscheidung unterstrich. Umstritten war allerdings, ob die Neuregelung auch im Jugendstrafrecht dazu führt, dass die Einziehung von Taterträgen zwingend anzuordnen ist oder ob ein Ermessensspielraum besteht.
Das LG entschied sich jedenfalls für letzteres, sah von einer Anordnung der Einziehung ab und sein Ermessen zum Zwecke der Umsetzung des Erziehungsgedankens eröffnet. Eine derartige "Vermögensabschöpfung" würde den jugendlichen Straftäter entmutigen und der Versuchung aussetzen, erneut straffällig zu werden. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diese Nichtanordnung der Einziehung Revision ein.
1. Strafsenat legt Großem Strafsenat vor
Seitdem lag der Ball beim 1. Strafsenat des Bundesgerichthofs (BGH). Dieser wollte die Revision eigentlich verwerfen, allerdings standen einer solchen Entscheidung die Rechtsprechung des 2., 4., 5. und 6. Strafsenats entgegen. Auf Anfrage des 1. Strafsenats teilten die Senate mit, dass sie an ihrer Rechtsprechung auch festhalten würden. Daraufhin legte der 1. Senat die Frage dem Großen Strafsenat vor, der nunmher in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss antwortete (Beschl. v. 20.1.2021, Az. GSSt 2/20).
Und in diesem gaben die BGH-Richter:innen der Staatsanwaltschaft Recht: Die Entscheidung über die Einziehung des Werts von Taterträgen nach § 73c StGB stehe auch im Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts, so der Große Senat.
Nach Auffassung der Richter:innen habe das StGB bereits vor der Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 obligatorische Verfallsregelungen für Erträge aus Straftaten vorgesehen. Diese seien nach ständiger Rechtsprechung des BGH auch bisher ohne jegliche Einschränkungen im Jugendstrafrecht angewendet worden – auch in Fällen, in denen der jugendliche Straftäter den Wert des Erlangten gar nicht mehr innehatte. Der BGH habe auch in früheren Entscheidungen betont, dass "die gesetzgeberische Wertentscheidung nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden dürfe".
Dieser zwingende Charakter der Einziehungsanordnung nach §§ 73, 73c StGB sei nun in der Reform von 2017 beibehalten worden. Eine Regelung für Härtefälle sei vielmehr ins Vollstreckungsverfahren verlagert worden, um die Beweisaufnahme von schwierigen Finanzermittlungen zu entlasten und um Hemmnisse für eine effektive Vermögensabschöpfung zu beseitigen.
BGH: Keine unterschiedliche Behandlung bei Jugendlichen geboten
Im Übrigen spreche auch eine historische Auslegung nicht für die Annahme eines Ermessensspielraums im Jugendstrafrecht: Zwar sei dieses in den Gesetzesmaterialien nicht explizit erörtert worden. Es sei aber, so der Große Strafsenat, auch gar nicht notwendig gewesen, Sonderregeln für das Jugendstrafrecht zu schaffen. Auch hier solle nach dem Willen des Gesetzgebers der zwingende Charakter der Einziehungsanordnung gelten, erzieherische und resozialisierende Gedanken seien hingegen erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Dieses gesetzgeberische Ziel würde unterlaufen, wenn die Einziehung im Erkenntnisverfahren im Ermessen der Jugendgerichte stehe.
Abgesehen von dem zwingenden Charakter der Regelungen zur Einziehung von Taterträgen, die einem Ermessen schon jeden Raum nehmen würden, sieht der Große Senat auch im erzieherischen Sinne keine Notwendigkeit für ein solches Ermessen: Ziel der §§ 73 ff StGB sei der Schutz des Vertrauens der Rechtsgemeinschaft in die "Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung". Der Gesetzgeber wolle damit klarstellen, dass sich Straftaten nicht lohnen. Und das, so der Senat, gelte eben auch für jugendliche Straftäter sei "unschwer mit dem Erziehungsgedanken zu vereinbaren". Auch Jugendlichen, so das Gericht, müsste vor Augen geführt werden, dass sie Vermögensvorteile aus Straftaten nicht behalten dürften.
Der Beschluss des BGH endet mit der Aufforderung, dass den Besonderheiten des Jugendstrafrechts im Kontext Vermögensabschöpfung allenfalls im Vollstreckungsverfahren Rechnung getragen werden dürfe. "Ob der vom Gesetzgeber beschrittene Weg die zweckmäßigste aller denkbaren Lösungen darstellt, hat der Große Senat nicht zu entscheiden", heißt es am Ende des Beschlusses.
Richtig überzeugt klingt anders.
BGH zur Vermögensabschöpfung: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45460 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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