Die Abschiebehaft darf nur über sechs Monate hinaus verlängert werden, wenn der betroffene Ausländer die Abschiebung verhindert. Dass er vor der Einreise seinen Pass vernichtet hat, reicht hierfür nicht aus, entschied der BGH.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, welche Anforderungen an eine Haftverlängerung zur Sicherung einer Abschiebung zu stellen sind. Demnach darf eine Verlängerung über sechs Monate hinaus nicht allein auf den Umstand gestützt werden, dass der Betroffene vor Einreise in die Bundesrepublik seinen Pass vernichtet hat (Beschl. v. 19.01.2017, Az. V ZB 99/16).
Die Richter des für Rechtsbeschwerden nach dem FamFG in Freiheitsentziehungssachen zuständigen V. Zivilsenats entschieden über die Rechtsbeschwerde eines Marokkaners, der Ende 2015 unerlaubt nach Deutschland eingereist war. Das Amtsgericht (AG) Mühldorf hatte daraufhin am 04. Dezember 2015 die Abschiebehaft bis längstens 03.Juni 2016 angeordnet. Das Gericht verlängerte diese aber kurz vor Ablauf der Frist bis Mitte Juni 2016 und begründete dies damit, dass der Mann vor Einreise seinen Pass vernichtet und so seine Abschiebung verhindert beziehungsweise erschwert habe.
Gegen diese Verlängerung ging der Mann, der inzwischen nach Marokko abgeschoben wurde, zunächst erfolglos vor. Nun aber bekam er von den höchsten Zivilrichtern Recht zugesprochen: Der BGH entschied, dass die erneute Haftanordnung rechtswidrig gewesen ist.
Abschiebung muss absehbar sein
Der BGH weist in seinem Beschluss darauf hin, dass das Vernichten des Passes eine Abschiebung zwar verzögern kann. Deswegen sei dies ein Grund, die Abschiebehaft im Sinne von 62 Abs. 3 S. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) von grundsätzlich drei Monaten auf sechs Monate zu verlängern.
Weiter dürfe die Haft aber nur unter den Voraussetzungen von § 62 Abs. 4 S. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) über sechs Monate hinaus verlängert werden. Nach dieser Vorschrift muss der Ausländer seine Abschiebung "verhindern". Damit müsse ein "von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich" dafür sein, dass die Abschiebung nicht erfolgen kann. Erforderlich sei daher ein Tun oder aber ein Unterlassen trotz bestehender Verpflichtung zu einem Tun, heißt es im Beschluss.
Ein vor Einreise in die Bundesrepublik liegendes Verhalten genügt nach Ansicht der Richter insoweit nicht, da eine Abschiebung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht hinreichend konkret ist und folglich nicht zurechenbar verhindert werden kann. Relevanz dürfte nur ein solches Verhalten haben, womit der Betroffene eine "sich bereits konkretisierende Abschiebung" zu vereiteln oder zu erschweren versucht. Andernfalls fehle es an einem Bezug des Verhaltens zur konkret zu erwartenden und sich bereits abzeichnenden Abschiebung.
Behörden müssen Abschiebung auch vollziehen können
Das Beschwerdegericht, das Landgericht (LG) Traunstein, war zudem der Auffassung, dass der Betroffene die Abschiebung auch dadurch jedenfalls erschwert habe, dass er zur Aufklärung seiner Identität nicht beigetragen habe. Er hätte Kopien seiner Geburtsurkunde oder seines Passes beibringen können.
Ein pflichtwidriges Unterlassen sieht der BGH hierin aber nicht, weil der Mann von den Behörden nicht zur Mitwirkung aufgefordert worden war. Entsprechende Feststellungen ließen sich der Entscheidung des LG jedenfalls nicht entnehmen, heißt es im Beschluss. Daher könne auch kein pflichtwidriges Verweigern der Mitwirkung angenommen werden.
Zweifel äußerte der BGH auch hinsichtlich der erforderlichen Ursächlichkeit. Das vorgeworfene Verhalten müsse ebenso der Grund sein, warum der Ausländer nicht abgeschoben werden kann. Daran fehle es etwa, wenn die Abschiebung wegen Überlastung der Behörden ohnehin nicht innerhalb der ersten sechs Monate möglich gewesen wäre, so die Richter.
una/LTO-Redaktion
BGH zu weggeworfenem Pass: . In: Legal Tribune Online, 17.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22139 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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