Der Spiegel müsste seine Verdachtsberichterstattung über den ehemaligen Chefjustiziar einer großen Bank nicht richtigstellen, wenn diese damals rechtmäßig war. Der BGH hat am Dienstag entschieden, dass der Betroffene in diesem Fall lediglich einen Anspruch auf einen Nachtrag hätte, dass der Verdacht gegen ihn nach Klärung des Sachverhalts nicht mehr bestehe.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat entschieden, dass ein Betroffener, über den in zulässiger Weise aufgrund des Verdachts einer Straftat in einem Nachrichtenmagazin berichtet wurde, keinen Anspruch auf nachträgliche Berichtigung hat. Er kann lediglich verlangen, dass im Magazin ein Nachtrag veröffentlich wird, der klarstellt, dass der ursprünglich begründete Tatverdacht in einem Gerichtsverfahren ausgeräumt wurde (Urt. v. 18.11.2014, Az. VI ZR 76/14).
Geklagt hatte der ehemalige Chefjustiziar einer großen Bank. Er verlangte die Richtigstellung einer ihn betreffenden Berichterstattung im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 23. August 2010. Unter der Überschrift 'Angst und Verfolgungswahn' hatte das Magazin über die Vorgänge um die Entlassung eines Vorstandsmitglieds wegen der angeblichen Weitergabe vertraulicher Unterlagen an Journalisten berichtet.
Der angegriffene Beitrag ging der Frage nach, ob das Vorstandsmitglied Opfer einer Falschbezichtigung geworden sei. Dem Magazin lagen Informationen vor, nach denen ein früherer Sicherheitsberater der Bank das Büro des ehemaligen Vorstandsmitglieds verwanzt, dessen Privatwohnung durchsucht und Dokumente frisiert haben soll, die schließlich zu der Entlassung des Managers geführt haben sollen. Der Justiziar wurde verdächtigt, an diesen Straftaten beteiligt gewesen zu sein.
Nach der Veröffentlichung der Berichterstattung wurde eine notarielle Erklärung des früheren Sicherheitsberaters bekannt, in der dieser von seinen angeblichen früheren Aussagen abrückte. Das gegen ihn und den Chefjustiziar eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde daraufhin eingestellt.
OLG verlangte Berichtigung
Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte die Frage der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Berichterstattung als nicht relevant eingestuft. Dem Gericht reichte, dass die Rufbeeinträchtigung des Justiziars als rechtswidrig fortdauere, weil sich der Verdacht in einer Beweisaufnahme als tatsächlich nicht begründet erwiesen hatte. Daher hatten die Hamburger Richter das Nachrichtenmagazin dazu verurteilt, unter der Überschrift "Richtigstellung" eine im Inhaltsverzeichnis angekündigte Erklärung zu veröffentlichen, wonach der Spiegel den Verdacht nicht aufrechterhalte (Urt. v. 28.1.2014, Az. 7 U 44/12).
Diese Entscheidung hat der unter anderem für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige Zivilsenat des BGH nun aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Dieses wird nun doch zu klären haben, ob der Spiegel damals in rechtmäßiger Weise über die Affäre berichtet hat.
Der BGH stellte in seinem Urteil fest, dass der Beitrag nach dem - für die revisionsrechtliche Prüfung allein maßgeblichen - Sachvortrag des Spiegels eine nicht vorverurteilende Verdachtsberichterstatung enthalte und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtmäßig war. Ob dies den Tatsachen entspricht, wird das OLG in einer Beweisaufnahme zu klären haben, in der auch das Vorbringen des Ex-Justiziars gewürdigt werden muss.
Presse muss sich nicht selbst ins Unrecht setzen
Nach ständiger Rechtsprechung gelten feste Grundsätze, wann die Presse auch über unbewiesene Vorwürfe berichten darf. So muss es sich um einen Vorwurf von gravierendem Gewicht handeln, der durch einen Mindestbestand von Belegtatsachen gestützt wird.
Journalisten müssen bei ihrer Recherche erhöhte Sorgfaltspflichten einhalten, also vor allem prüfen, ob ihre Quellen zuverlässig und Informationen stichhaltig sind. Ihre Berichterstattung darf weder zu einer Vorverurteilung des Betroffenen führen noch bewusst einseitig oder verfälschend sein. Und schließlich muss der Beschuldigte die Möglichkeit haben, sich zu den erhobenen Vorwürfen zu äußern.
Diese Grundsätze sahen die Bundesrichter hier nach den vom Spiegel dargelegten und bewiesenen Tatsachen als eingehalten an. Danach überwiege bei der gebotenen Abwägung das Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Das Presseorgan könne nicht verpflichtet werden, sich nach einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung selbst ins Unrecht zu setzen, so die Richter. Der klagende Justiziar kann danach zumindest keine Richtigstellung verlangen.
BGH: Nur Anspruch auf Nachtrag
Die möglichen Verfehlungen von Führungskräften der Bank, die im Zuge der Finanzkrise verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten waren, seien Vorgänge von gravierendem Gewicht gewesen, deren Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt gewesen seien. Der Spiegel habe auch einen hinreichenden Mindestbestand an Beweistatsachen dargetan, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung für eine Beteiligung des damals Verdächtigen an den fraglichen Vorgängen sprachen.
Der Beitrag stütze sich unter anderem auf Aussagen des früheren Sicherheitsberaters gegenüber den Verfassern des Artikels und auf einen Vermerk der Staatsanwaltschaft. Auch hatten die Autoren den Justiziar und eine weitere Person angehört, die an der Beauftragung des früheren Sicherheitsberaters mitgewirkt haben sollte.
Deshalb kann der Betroffene trotz der späteren Ausräumung des Verdachts und Fortwirkung der Beeinträchtigung von dem Presseorgan nicht die Richtigstellung der ursprünglichen Berichterstattung verlangen, wenn das OLG die Berichterstattung selber als rechtmäßig ansehen sollte. Er habe in diesem Fall aber zumindest einen Anspruch auf die nachträgliche Mitteilung, also einen Nachtrag, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde.
Anne-Christine Herr, BGH zur Berichtigung nach Verdachtsberichterstattung: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13842 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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