Das LG Köln hatte einen Mann wegen Totschlags statt heimtückischen Mordes verurteilt, da im Zeitpunkt des Schusses eine vorherige Bedrohung des Opfers nicht auszuschließen war. Der BGH hält das für rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht (LG) Köln muss den Fall eines Mannes neu aufrollen, den es im vergangenen Jahr wegen der Tötung seiner Geliebten verurteilt hatte – und zwar "nur" wegen Totschlags. Die Richter hätten das Mordmerkmal der Heimtücke rechtsfehlerhaft verneint, weil sie auf einen zu späten Zeitpunkt bei der Beurteilung der Arglosigkeit abgestellt hätten, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit am Donnerstag veröffentlichtem Urteil (Urt. v. 24.05.2023, Az. 2 StR 320/22).
Der Mann hatte die Frau, mit der er zuvor eine Affäre geführt hatte, 2020 mit zwei Kopfschüssen getötet. Sie hatte auf dem Beifahrersitz gesessen, während er mit ihr an eine abgelegene Stelle gefahren war. Die Anklage plädierte auf Mord, das Landgericht verurteilte den Mann aber nur wegen Totschlags zu elf Jahren Haft. Im Urteil des LG Köln hieß es, man habe nicht mit Sicherheit feststellen können, ob die Frau im Moment der Schüsse abgelenkt war und somit ein heimtückischer Mord vorlag. Es sei auch denkbar, dass der Angeklagte der Geschädigten die Schusswaffe zuvor vorgehalten und diese damit bedroht habe, womit die Arglosigkeit laut LG entfallen wäre (Urt. v. 17.03.2022, Az. 104 Ks 23/21).
Diese Ausführungen hält der BGH für fehlerhaft. Bei der Prüfung der Heimtücke hätten die Kölner Richter den falschen Zeitpunkt zugrunde gelegt: nämlich den ersten Schuss.
Klar ist, dass heimtückisch handelt, "wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt", und dass arglos ist, wer "sich keines Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht". Das stellte der BGH noch einmal lehrbuchmäßig dar. So weit, so bekannt – doch welcher Zeitpunkt ist nun entscheidend für die tatrichterliche Prüfung, ob das Opfer sich keines Angriffs versah? Oder anders: Wann beginnt ein solcher Angriff in einem zeitlich gestreckten Geschehensablauf, in dem der Täter mit seinem Opfer erst gemeinsam im Auto fährt, auf dem Weg noch tankt und es erst später durch Kopfschüsse aus nächster Nähe tötet?
BGH: "Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs"
Laut BGH hatten sich die Kölner Richter bei der Frage, ob die getötete Frau sich eines Angriffs versah – nämlich des ersten Schusses – ausschließlich auf den Zeitpunkt der Abgabe dieses Schusses konzentriert. Dies sei ein Rechtsfehler: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Arg- und Wehrlosigkeit sei "grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs". Doch "anders als vom Landgericht angenommen beginnt der Angriff nicht erst mit der eigentlichen Tötungshandlung, hier der Schussabgabe, sondern umfasst auch die unmittelbar davor liegende Phase."
Das heißt: Das LG Köln hat nach Auffassung des BGH den Angriff zu eng definiert und deshalb für die Arglosigkeit auf einen zu späten Zeitpunkt abgestellt. Auf einen Zeitpunkt, in dem die Frau womöglich längst nicht mehr hätte fliehen können. Genau das beanstandet der BGH: Das Landgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob die Frau auf dem Beifahrersitz des Wagens an dem abgelegenen Tatort überhaupt eine Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung gehabt hätte. Die Arglosigkeit der Frau allein aufgrund der Möglichkeit zu verneinen, dass die Frau zuvor mit der Pistole bedroht wurde, stelle daher einen Rechtsfehler dar.
Die Richter wiesen in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Heimtücke kein heimliches Vorgehen des Täters erfordere. Vielmehr könne das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter schon vor dem unmittelbaren Ansetzen zum Tötungsakt eine feindselige Gesinnung gezeigt hätte. Entscheidend für die Annahme der Arglosigkeit sei, ob "die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen".
Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet das: Es mag sein, dass die getötete Frau schon während der Autofahrt gemerkt hatte, dass ihr ehemaliger Lover ihr etwas antun oder sie gar töten wollte. Diese Möglichkeit lässt aber die Arglosigkeit nur entfallen, wenn die Frau zu diesem Zeitpunkt oder im späteren Verlauf der Situation noch hätte entfliehen oder sich zur Wehr hätte setzen können.
Ob das so war, ist völlig unklar. Dazu hätte das LG Feststellungen treffen müssen, so der BGH. Das wird nun eine andere Strafkammer am LG Köln nachholen müssen.
dpa/mk/LTO-Redaktion
Arglos ist, wer nicht mehr fliehen kann: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52117 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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