Der Solidaritätszuschlag soll Lasten der deutschen Einheit abfedern. Doch Sondermittel für die neuen Länder gibt es gar nicht mehr. Der BFH hält den Soli gleichwohl für verfassungsgemäß. Er sei "noch mit dem Grundgesetz vereinbar".
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat eine Klage gegen den Solidaritätszuschlag abgewiesen. Die Abgabe ist nicht verfassungswidrig, sondern "noch mit dem Grundgesetz vereinbar" entschied der IX. Senat des höchsten deutschen Finanzgerichts am Montag (Urt. v. 30.1.2023, IX R 15/20). Die Bundesregierung kann damit weiter jährliche Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe einplanen.
Ein Ehepaar aus Aschaffenburg hatte mit Unterstützung des Bunds der Steuerzahler die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gefordert. Es argumentierte, dass der ursprüngliche Zweck des Soli entfallen sei: Da der Solidarpakt II zur Unterstützung der neuen Bundesländer ausgelaufen sei, müsse auch der Soli ein Ende haben. Außerdem sei es gleichheitswidrig, dass nur noch die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerzahler belastet würden.
Der Bundesfinanzhof folgte all dem nicht. Das Gericht sei nicht von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags überzeugt. Daher komme eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auch nicht in Betracht, sagte der Vorsitzende und Präsident des Bundesfinanzhofs Hans-Josef Thesling in der mündlichen Urteilsbegründung. Thesling führt mehrere Aspekte aus, die aus Sicht des Bundesfinanzhofs gegen eine Verfassungswidrigkeit des Soli sprechen:
Keine Aushöhlung der Einkommenssteuer
So stehe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für den Soli zu. Seine Kompetenz hierzu habe der Bund auch nicht überschritten. Eine Aushöhlung des Systems von Steuern, die Bund und Länder gemeinsam zugute kommen, liege nicht vor.
Hintergrund ist, dass nach Art. 106 Abs. 3 GG Bund und Ländern die Einnahmen aus Einkommen- und Körperschaftsteuer gemeinsam zustehen. Anders sieht bei der in Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG erwähnten "Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer aus." Die Einnahmen stehen nur dem Bund zu, die Länder müssen derartige Abgaben nicht über den Bundesrat absegnen.
Da die Soli-Abgabe aber nur 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer betrage, verneint der BFH eine verfassungswidrige Umgehung von Länderkompetenzen.
Soli-Einnahmen müssen nicht direkt für Wiedervereinigung verwendet werden
Eine Ergänzungsabgabe habe die Aufgabe, ohne formelle Steuererhöhung eine höhere Abgabenlast zu decken. Diesen Anforderungen genüge der Soli. Dabei sei unerheblich, ob die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zweckgebunden für den Aufbau Ost verwendet werden. Die Entscheidung darüber, welche Aufgaben wann in Angriff genommen werden und wie sie finanziert werden, gehöre zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die sich einer gerichtlichen Nachprüfung entziehe.
Der Zuschlag sei auch nicht wegen Zeitablauf oder wegen veränderter Umstände verfassungswidrig geworden. Das Grundgesetz enthalte schon nicht die Vorgabe, dass eine Ergänzungsabgabe nur befristet oder nur für einen kurzen Zeitraum erhoben werden dürfe.
Eine Ergänzungsabgabe wie der Soli könne aber dann verfassungswidrig werden, wenn sich Verhältnisse, die für ihre Entstehung gesprochen habe, grundlegend ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist. Denn soweit ein dauerhafte erhöhter Finanzbedarf entstanden sei, müsse dieser über allgemeine Steuern gedeckt werden.
Soli trotz Wegfall des Solidarpakts verfassungsgemäß
Allerdings bestehe nach wie vor eine wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes, der in den Jahren 2020 und 2021 die Erhebung des Solidaritätszuschlags rechtfertige.
Dass der Solidarpakt I und II für die Finanzierung der neuen Länder inzwischen ausgelaufen sei, spiele keine Rolle. Denn die Ausgaben des Bundes für die Wiedervereinigung beschränkten sich nicht allein auf die Kosten des Solidaritätspakts. Der Gesetzgeber habe in Begründung zur Fortführung des Soli vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über Auslaufen des Solidaritätspakts hinaus ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf bestehe – und zwar im Bereich der Rentenversicherung und im Bereich des Arbeitsmarkts. Die Bundesregierung gehe sogar davon aus, dass die Einnahmen aus dem Soli die weiterhin bestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden. Damit bestehe nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter besonderer Finanzbedarf.
Da der ursprüngliche Zweck des Soli nicht entfallen sei, komme es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
"Reichensoli" nicht zu beanstanden
Die Wiedervereinigung sei eine Generationenaufgabe, daher könne der Solidaritätszuschlag eine Spanne von 30 Jahren erfassen. Hiernach sei der Gesetzgeber gehalten zu prüfen, diesen aufzuheben oder abzusenken. Genau dies sei bereits geschehen, da nur noch die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerzahler belastet werden. Damit würden auch die niedriger werdenden Kosten der Wiedervereinigung berücksichtigt. Der Einstieg in den Ausstieg habe bereits begonnen.
Auch der Argumentation eines Gleichheitsverstoßes aus Art. 3 Abs. 1 GG, da nur noch 10 Prozent der Einkommensteuerzahler den Soli zahlen müssten, folgte das Gericht nicht. Eine sogenannte "Reichensteuer" sei als Ungleichbehandlung gerechtfertigt. Es sei anerkannt, dass bei Steuern, die an der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler ausgerichtet sind, soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden dürfen. Die seit 2021 geltende Staffelung der Soli-Zahlung sei mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.
Keine zeitnahe Entscheidung des BVerfG
Das Bundesfinanzministerium hat die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zum Solidaritätszuschlag laut dpa "zur Kenntnis" genommen. Es hieß am Montag aus Kreisen des Ministeriums: "Aus Sicht des Bundesfinanzministers wäre die Abschaffung ein Beitrag zur Stärkung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und der Glaubwürdigkeit politischer Zusagen." Das Bundesfinanzministerium war dem Rechtsstreit unter der Führung von Ex-Finanzminister Olaf Scholz (SPD) noch beigetreten. Finanzminister und Soli-Gegner Christian Lindner (FDP) erklärte dann aber den Austritt , so dass während der mündlichen Verhandlung Mitte Januar eine Verteidigung des Soli weitgehend ausblieb.
"Über den Solidaritätszuschlag werde das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Verfahren entscheiden", hieß es nach dpa aus Ministeriumskreisen. "Die Bundesregierung hat ein Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung." Eine LTO-Rückfrage beim BVerfG ergab allerdings, dass bislang keine Entscheidung des BVerfG ansteht. Aktuell seien zwei Verfassungsbeschwerden aus dem Jahr 2020 anhängig, deren Zulässigkeit sei noch offen. Zudem gebe es eine Vorlage vom Niedersächsischen Finanzhof aus dem Jahre 2014. Auch dort habe das Bundesverfassungsgericht noch nicht über die Zulässigkeit entschieden.
"Noch mit dem Grundgesetz vereinbar": . In: Legal Tribune Online, 30.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50921 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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