Die Berliner Justizsenatorin Badenberg dringt auf eine schnelle Klärung, ob die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung einzustufen sei. Derweil geht der juristische Streit weiter. Bedarf es einer Erheblichkeitsschwelle?
Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) lässt prüfen, ob es sich bei der Klimagruppe Letzte Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt. Das Leben und der Alltag der Menschen in Berlin seien durch die Aktivitäten der Klima-Demonstranten erheblich beeinträchtigt und mitunter auch gefährdet, sagte Badenberg am Samstag der Deutschen
Presse-Agentur. "Daher gilt es, alle gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, und dazu gehört eben auch die Frage, ob es sich bei der Letzten Generation um eine 'kriminelle Vereinigung' handelt."
Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist nach § 129 StGB strafbar. Bestraft wird, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Eine Vereinigung ist "ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses", heißt es in § 129 Abs. 2 StGB.
Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte dafür bislang keine Anhaltspunkte bei der Letzten Generation gesehen. Die rechtliche Einschätzung unterliege aber "einer permanenten Neubewertung", sagte eine Behördensprecherin am Samstag.
"Politisch motivierte Straverfolgung schadet dem Rechtsstaat"
Nun soll sich auf Bitten der Justizsenatorin Badenberg die für Strafrecht zuständige Abteilung in ihrem Haus mit der Frage auseinandersetzen. Das Ergebnis wäre dann für die Staatsanwaltschaft von Bedeutung. Denn anders als in den meisten anderen europäischen Ländern haben deutsche Justizministerien das Recht, den Staatsanwaltschaften Weisungen zu erteilen.
Richterinnen und Richter hingegen sind weisungsunabhängig. Diese Unabhängigkeit betonte auch Badenberg: "Das Anklagemonopol liegt bei der Staatsanwaltschaft, und Recht sprechen können nur die Gerichte." Ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handle, könnten letztlich nur diese entscheiden.
Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch kritisierte das Vorgehen der Justizsenatorin: "Strafverfolgung ist eine Sache der Staatsanwaltschaft und der Gerichte. Politisch motivierte Straverfolgung schadet dem Rechtsstaat", sagte sie am Sonntag.
Im benachbarten Brandenburg laufen bereits gegen die Klimagruppe Ermittlungen wegen des Verdachtes der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Auch das Landgericht Potsdam hatte zuletzt einen Anfangsverdacht gesehen, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte.
Juristischer Streit geht weiter
Juristisch wird derweil weiter gestritten. Mehrere Kommentatoren verweisen auf BGH-Rechtsprechung, wonach der Tatbestand des § 129 StGB eine Erheblichkeitsschwelle erfordere. Der BGH entschied etwa in einem Beschluss aus dem Jahre 2016, dass § 129 auf solche Vereinigungen zu beschränken sei, deren Zweckverfolgung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle (Beschl. v. 30.05.2015, 3 StR 86/16).
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Dagegen wenden jedoch andere Juristen ein, dass sich seitdem das Gesetz geändert hat. Seit 2017 ist in § 129 StGB eine ausdrückliche Schwelle geregelt: Die begangenen Taten der Vereinigung müssen im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sein, was bei der Nötigung (§ 240 StGB) gegeben ist. Aufgrund dieser gesetzlichen Regelung sei nun kein Raum mehr für eine ungeschriebene Strafbarkeitsschwelle.
Dieser Ansicht vertritt auch Ex-Bundesrichter Thomas Fischer in seiner LTO-Kolumne. Er votiert für eine Differenzierung nach Teilgruppen der "Letzte Generation".
dpa/cp/LTO-Redaktion
Aktualisiert 22.05.2023, 16:23 Uhr
Letzte Generation kriminelle Vereinigung?: . In: Legal Tribune Online, 22.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51822 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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