Ein Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin durch einen Kommilitonen sorgte im Februar für Entsetzen. Nun zieht der Senat rechtspolitische Konsequenzen, Kritiker warnen vor "Universitätsjustiz".
Berliner Hochschulen sollen Studenten nach schweren Straftaten künftig wieder exmatrikulieren können. Eine entsprechende Änderung des Hochschulgesetzes beschloss der schwarz-rote Senat am Dienstag bei einer Sitzung in Neukölln. Das Vorhaben ist eine Konsequenz aus einem Angriff eines Kommilitonen auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität (FU) vor knapp zwei Monaten. Es wird nun im Abgeordnetenhaus weiter beraten und soll dort voraussichtlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Die Möglichkeit einer Exmatrikulation war erst 2021 von Rot-Grün-Rot abgeschafft worden. Seither ist Berlin nach früheren Angaben das einzige Bundesland ohne eine solch scharfe Sanktionierung; das geltende Hochschulgesetz sieht höchstens ein dreimonatiges Hausverbot vor. In anderen Bundesländern wie NRW und Niedersachsen ist die Exmatrikulation dagegen unter bestimmten Voraussetzungen möglich; Bayern überlässt den Hochschulen selbst, entsprechende Exmatrikulationsgründe per Satzung zu regeln.
Kernpunkt der Gesetzesnovelle ist nach Angaben von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Hochschulen. Geplant sind abgestufte Ordnungsmaßnahmen, je nach Art und Schwere der Störung. Dazu zählen eine Rüge, die Androhung der Exmatrikulation und ein Verbot, bestimmte Einrichtungen der Hochschule einschließlich ihrer digitalen Infrastruktur zu benutzen. Als weitere mögliche Maßnahmen werden der Ausschluss von einzelnen Lehrveranstaltungen bis zu einem Semester und schließlich die Exmatrikulation genannt.
Hochschulen als "sichere und diskriminierungsfreie Orte"
Ziel sei, einen gewalt- und angstfreien Hochschul- und Studienbetrieb zu gewährleisten, so Czyborra. Zudem müssten Mitglieder und Angehörige der Hochschulen vor Übergriffen und Diskriminierungen geschützt werden. "Wir wollen, dass die Hochschulen sichere und diskriminierungsfreie Orte sind", sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). "Die Änderung des Hochschulgesetzes bietet dafür die besten Voraussetzungen."
Eine Exmatrikulation soll der Senatorin zufolge nur bei Gewalttaten greifen – und zwar nach einer Verurteilung des Betroffenen durch ein Gericht. Es soll aber eine Ausnahme geben: Übt der Verdächtige nach einer ersten schweren Straftat, wegen der gegen ihn ermittelt wird, weitere Gewalt aus, kann er laut Gesetzentwurf auch schon vor einem Urteil von der Hochschule exmatrikuliert werden.
Czyborra betonte, dass es bei dem Gesetzesvorhaben nicht darum gehe, politische Meinungsäußerungen oder andere Freiheitsrechte einzuschränken. Es gehe vielmehr darum, Meinungsfreiheit und Räume für Diskurs zu schützen. Die Jüdische Studierendenunion Deutschland sowie Hochschulgruppen von CDU/CSU, Jusos, Liberalen und Grünen hatten sich am Montag für die Pläne des Senats ausgesprochen, die "Kampagne gegen Zwangsexmatrikulationen" hatte dagegen zu Protesten aufgerufen.
Kritik von Linken, Grünen und TU Berlin
Tatsächlich kamen am Dienstag Demonstranten vor dem Roten Rathaus zusammen, um vor "politisch motivierten Exmatrikulationen" zu warnen. Die Kampagne gegen Zwangsexmatrikulationen kritisierte auch mangelnde Transparenz im Examtrikulationsverfahren. Der Gesetzentwurf sieht die Einsetzung eines neuen Gremiums vor, das über den Ausschluss entscheiden soll.
Auch die Linke lehnt das neue Hochschulgesetz ab. "Der Senat schießt weit über das Ziel hinaus und bleibt beim Aktionismus", erklärte der wissenschaftspolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Tobias Schulze. Das Ziel des Schutzes von Gewaltopfern werde nicht erreicht: "Eine mögliche Exmatrikulation würde erst viele Monate oder gar Jahre nach der Tat erfolgen." Auch die Grünen bezweifelten, dass das Gesetz effektiven und rechtssicheren Schutz vor Gewalt oder Antisemitismus bietet.
An den Berliner Unis fallen die Reaktionen ebenfalls unterschiedlich aus: Während sich die Präsidien von FU und Humboldt-Universität sich grundsätzlich positiv äußerten, befürchtet die Präsidentin der Technischen Universität Geraldine Rauch "Verdachtsurteile". Für sie seien Gerichte für derartige Sanktionen zuständig; das geplante Verfahren nannte sie "Universitäts-Justiz", wie die Berliner Morgenpost vor zwei Wochen berichtete.
Angriff auf Lahav Shapira als Auslöser
Auslöser für die Gesetzesnovelle war eine mutmaßlich antisemitisch motivierte Gewalttat Anfang Februar: Der jüdische FU-Student Lahav Shapira kam damals mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus. Ein propalästinensischer Kommilitone soll ihn auf einer Straße in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem gezielten Angriff und einem antisemitischen Hintergrund aus.
Der Fall setzte die Leitung der FU wie auch Czyborra seinerzeit stark unter Druck. Die Senatorin sah sich mit Rücktrittsforderungen etwa des Zentralrats der Juden konfrontiert. Dieser kritisierte vor allem, dass sie zunächst keinen Anlass für eine Änderung des Berliner Hochschulgesetzes gesehen habe. Die FU belegte den mutmaßlichen Angreifer für zunächst drei Monate mit einem Hausverbot. Für ihn selbst kann die Novelle keine Anwendung finden, da Gesetze nicht rückwirkend gelten.
dpa/jb/LTO-Redaktion
Nach Angriff auf jüdischen Studenten: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54210 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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