Auch wer krank ist, hat einen Anspruch auf Mindestlohn. Dies ergebe sich aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz, entschied das BAG - zunächst für fast 22 000 Arbeitnehmer deutschlandweit. Arbeitsrechtler sehen darin aber eine Richtungsentscheidung auch für das neue Mindestlohngesetz.
Wann muss eigentlich Mindestlohn gezahlt werden? Die Frage sorgt für Streit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Fälle landen zunehmend bei den Gerichten. Einige Arbeitgeber zahlen den Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und vergüten Feiertage und Tage, an denen der Arbeitnehmer krank war, mit einem geringeren Entgelt.
Zu dieser Praxis hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun für den Bereich des pädagogischen Personals ein Urteil mit Signalwirkung gefällt: Wer krank ist, hat Anspruch auf den für diesen Personenkreis erlassenen Mindestlohn. Auch die Höhe der Entgeltfortzahlung an Feiertagen berechnet sich nach den entsprechenden Vorschriften (Urt. v. 13.04.2015, Az. 10 AZR 191/14).
Das Urteil gilt zunächst nur für bundesweit bis zu 22 000 Arbeitnehmer aus dem pädagogischen Bereich in Aus- und Weiterbildungsfirmen. Arbeitsrechtler sehen darin aber eine Richtungsentscheidung auch für Fälle nach dem seit Januar geltenden Mindestlohngesetz.
Arbeitgeber muss Mindestlohn zahlen
Die Bundesrichter gaben wie die Vorinstanzen einer pädagogischen Ausbilderin aus Niedersachsen Recht, die von ihrem Arbeitgeber eine Nachzahlung für Feiertage, Krankheitszeiten und als Urlaubsabgeltung nach Maßgabe des für sie anwendbaren Tarifvertrags zur Regelung des Mindestlohns für pädagogisches Personal vom 15. November 2011 (TV-Mindestlohn) gefordert hatte.
Der Arbeitgeber zahlte zwar für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs diese Mindeststundenvergütung, nicht aber für durch Feiertage oder Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Stunden. Auch die Urlaubsabgeltung berechnete sie nur nach der geringeren vertraglichen Vergütung.
Daraufhin klagte die Frau und bekam vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen und nun auch in der Revisionsinstanz Recht. Der Ausbilderin steht nun eine Nachzahlung von rund 1029 Euro zu. In der Branche liegt der Mindestlohn bei 12,60 Euro pro Stunde.
Der Zehnte Senat des BAG begründete seine Entscheidung mit dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Es gelte auch dann, wenn sich die Höhe des Arbeitsentgelts nach einer Mindestlohnregelung richte, die "keine Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung und zum Urlaubsentgelt enthält", erklärten die Richter.
Nach § 2 Abs. 1, § 3 iVm. § 4 Abs. 1 EFZG habe der Arbeitgeber für Arbeitszeit, die aufgrund eines gesetzlichen Feiertags oder wegen Arbeitsunfähigkeit ausfällt, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte (Entgeltausfallprinzip). Die Höhe des Urlaubsentgelts und einer Urlaubsabgeltung bestimme sich nach der durchschnittlichen Vergütung der letzten dreizehn Wochen (Referenzprinzip).
"Viele Fragen, die im Gesetz nicht geregelt sind"
Die Entscheidung der Bundesrichter gilt zunächst nur für bundesweit bis zu 22.000 Arbeitnehmer in Aus- und Weiterbildungsfirmen. Experten sehen darin aber eine Richtungsentscheidung auch für Fälle nach dem seit Januar geltenden Mindestlohngesetz.
Kerstin Jerchel, Juristin beim Verdi-Bundesvorstand in Berlin, sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Das ist für mich ein deutliches Signal in Richtung Mindestlohngesetz, dass da auch bei Krankheit 8,50 Euro pro Stunde gezahlt werden müssen."
Bei den Mindestlohnregelungen per Gesetz oder durch allgemeinverbindliche Tarifverträge sind viele Details nach Meinung von Arbeitsrechtlern bisher ungeklärt. "Es sind richtig viele Fragen, die im Gesetz nicht geregelt sind", findet die Berliner Arbeitsrechtlerin Alexandra Henkel.
Die Bundesarbeitsrichter in Erfurt beschäftigten sich erstmals seit Inkrafttreten des Gesetzes mit einer Mindestlohnregelung. "Das Mindestlohngesetz wird einigen Arbeitsstoff für die Gerichte produzieren", hatte BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt kürzlich gesagt. Klärungsbedarf gebe es nicht nur bei der Entgeltfortzahlung, sondern auch bei Praktikantenverhältnissen, Zulagen oder Zuschlägen.
Es gibt diverse Hotlines zum Thema Mindestlohn für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die seit Januar geschaltete Hotline des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hatte bisher nach Gewerkschaftsangaben rund 9.700 Anrufer. Immer noch seien es 40 bis 50 pro Tag, sagte eine DGB-Sprecherin. Der Mehrzahl gehe es um Informationen zum Mindestlohn, es würden aber auch Fälle gemeldet, bei denen der Verdacht auf Verstöße bestehe. "Das sind deutlich mehr als Einzelfälle."
Am Donnerstag erscheint ein ausführlicher Hintergrundbeitrag zu dem Urteil.
dpa/age/LTO-Redaktion
BAG zur Entgeltfortzahlung: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15541 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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