Bundespräsident Steinmeier hat das umstrittene Wiederaufnahme-Gesetz zwar unterzeichnet, aber nur mit starken, verfassungrechtlichen Bauchschmerzen. Nun soll der Bundestag das Gesetz noch einmal prüfen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Zweifel an einem von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetz zur Wiederaufnahme von Strafverfahren bei schwersten Straftaten geäußert. Wie das Bundespräsidialamt am Mittwoch mitteilte, unterzeichnete er das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung zwar, regte aber zugleich an, es im Bundestag erneut zu prüfen. "Angesichts der erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken rege ich allerdings an, das Gesetz einer erneuten parlamentarischen Prüfung und Beratung zu unterziehen", schrieb er demnach an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Kanzler Olaf Scholz und Bundesratspräsident Bodo Ramelow. Zuvor hatte das Bundespräsidialamt, das von der GroKo beschlossene Gesetz mehrere Monate prüfen lassen.
Das Gesetz macht es künftig möglich, Strafprozesse zu schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erneut aufzurollen, auch wenn sie zuvor mit einem Freispruch endeten. Voraussetzung ist, dass es neue Beweismittel gibt und dadurch eine Verurteilung des Freigesprochenen wahrscheinlich ist. Neue belastende Informationen können etwa durch neue Untersuchungsmethoden und Fortschritte in der digitalen Forensik zutage treten.
Möglicher Verstoß gegen Rückwirkungsverbot
Es gebe jedoch verfassungsrechtliche Fragen, die in Rechtsprechung und Literatur streitig behandelt würden, schrieb Steinmeier laut Präsidialamt in seinem Brief. Er sehe "jedenfalls einige dieser Zweifel nach eingehenden Gesprächen mit Verfassungs- und Strafrechtsexpertinnen und -experten bestätigt". So gebe es Bedenken, weil niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden dürfe. Diese Vorgabe des Grundgesetzes schütze nach allgemeiner Auffassung auch vor jeder weiteren Strafverfolgung nach Freispruch oder gerichtlicher Einstellung eines Verfahrens.
Außerdem sei zweifelhaft, ob das Gesetz mit dem sogenannten Rückwirkungsverbot vereinbar sei. "Mit der Erweiterung der Wiederaufnahmegründe bei Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen gegen eine Person würden Freisprüche indes rückwirkend grundsätzlich in Frage gestellt", argumentierte Steinmeier laut Präsidialamt. "Die Freigesprochenen sähen sich zukünftig in der Situation, dass ihr Freispruch nachträglich in einen Schwebezustand geriete."
Union warnt die Ampel
Trotz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundespräidenten warnte der Rechtspoltiker der Union, Jan- Marco Luczak, die Ampel-Fraktionen davor, das Gesetz "rückabzuwickeln". Das Gesetz bewege sich innerhalb der Logik und Systematik des bestehenden Rechts und damit auch der Verfassung", so Luczak auf Twitter.
Demgegenüber bedauert die Initiative "nichtzweimal.com", dass der Bundespräsident viel zu selten trotz verfassungsrechtlicher Bedenken die Ausfertigung eines Gesetzes ablehne. Gleichwohl begrüße man "ausdrücklich die klaren Worte" mit denen er in diesem Falle auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen habe. Die Initiative, zu der u.a. auch die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zählt, hatte sich im Oktober an Frank Walter Steinmeier gewandt und appelliert, das Gesetz nicht auszufertigen, weil es gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoße.
dpa/cp/hs/LTO-Redaktion
Wiederaufnahme von Mordverfahren: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47025 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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