Weil er tausendfach Krebs-Medikamente gepanscht hatte, wurde ein Apotheker zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Nunmehr hat sich auch das BVerfG im Wege einer Verfassungsbeschwerde mit dem Fall befasst.
Über Jahre hinweg hatte ein Apotheker in über 14.500 Fällen unterdosierte Krebsmedikamente hergestellt und war deshalb 2020 rechtskräftig wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betruges zu einer zwölfjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden, ein lebenslanges Berufsverbot wurde ebenfalls angeordnet. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun ohne Erfolg, die 3. Kammer des Zweiten Senats stellte insbesondere keinen Verstoß gegen den Schuldgrundsatz fest (Beschl. v. 09.08.2023, Az. 2 BvR 1373/20).
Im maßgeblichen Tatzeitraum hatte der Mann insgesamt rund 28.000 Arzneimittel hergestellt. Berechnungen des Landgerichts (LG) Essen ergaben, dass der Apotheker für mehr als die Hälfte dieser Arzneimittel nicht genügend Wirkstoff eingekauft hatte. Unklar war nur, welche Fläschchen bzw. Packungen genau betroffen waren. Daher erfolgte die Verurteilung auf Grundlage der gleichartigen Wahlfeststellung (Urt. v. 06.07.2018, Az. 56 KLs 11/17). Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte hieran nichts auszusetzen (Beschl. v. 10.06.2020, Az. 4 StR 503/19).
Bei der richterrechtlich entwickelten gleichartigen Wahlfeststellung geht es um Konstellationen, in denen der Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten gemäß § 244 Abs. 2 StPO nicht eindeutig festgestellt werden kann, gleichzeitig aber die Strafbarkeit des Angeklagten aus jeweils demselben Straftatbestand in jeder denkbaren Sachverhaltsalternative feststeht. Ein solcher Fall lag hier laut BGH und LG vor, die Schuld stehe fest.
Wahlfeststellung mit Schuldgrundsatz vereinbar
Der Apotheker rügte insoweit eine Verletzung des Schuldgrundsatzes sowie des "Grundrechts auf Wahrung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG". Dazu führt das BVerfG grundlegend aus, dass schon aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) folge, dass jede Strafe Schuld voraussetze. Das gleiche folge aus dem Rechtsstaatsprinzip, weshalb auch verfahrensrechtlich gesichert sein müsse, dass Tat und Schuld dem Angeklagten prozessordnungsgemäß nachgewiesen wird. Das LG Essen habe hier jedoch hinreichende Feststellungen getroffen, so die Kammer.
Zur ungleichartigen Wahlfeststellung war vor einigen Jahren in Karlsruhe längere Zeit gestritten worden, letztlich wurde die Verfassungsmäßigkeit aber bejaht. Nun hält das BVerfG die gleichartige Wahlfestellung wiederum für verfassungsgemäß, insbesondere im Hinblick auf den Schuldgrundsatz. Die rechtsstaatliche Idee der materiellen Gerechtigkeit gebiete eine Verurteilung, "wenn die Schuld des Angeklagten mit Gewissheit feststeht und sich die Zweifel allein auf Tatsachenfragen beziehen", so das BVerfG. Auch in der konkreten Anwendung durch das LG Essen erblickte die Kammer keine Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte des ehemaligen Apothekers. Ebenfalls sei ein Verstoß gegen das Analogieverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht ersichtlich.
jb/LTO-Redaktion
Kein Verstoß gegen Schuldgrundsatz: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52536 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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