Versicherte, die in einem Heim wohnen, profitieren grundsätzlich von einer Reduzierung ihres Eigenanteils an gewährten Sozialleistungen. Weitere Hürden, die das SG Osnabrück dieser Regel auferlegen wollte, wies das BVerfG deutlich ab.
In einem Heim untergebrachte Versicherte zahlen in der Regel einen geringeren Eigenanteil an den Kosten für ihre Unterbringung. Für eine solche Herabsetzung der Belastungsgrenze ist es zudem nicht erforderlich, dass auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung von einem Sozialhilfeträger übernommen werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden und gab der Verfassungsbeschwerde einer Pflegeheimbewohnerin statt (Beschl. v. 22.09.2023, Az. 1 BvR 422/23). In seinen Entscheidungsgründen fand es deutliche Worte für das zugrundeliegende Urteil des Sozialgericht (SG) Osnabrück (Urt. 22.06.2022, Az. S 46 KR 59/22).
Gesetzlich Krankenversicherte müssen zu bestimmten Krankenkassenleistungen Zuzahlungen erbringen, die Höhe orientiert sich dabei an deren jährlichen Bruttoeinkommen. Für Versicherte, die bestimmte Sozialleistungen beziehen, werden in der Regel geringere Zuzahlungen nach dem Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 1 veranschlagt.
Eigenanteil von mehr als 85 Prozent des Einkommens
Die Beschwerdeführerin lebt in einem Pflegeheim und bezieht eine Altersrente von knapp 1.100 Euro. Bis auf 143,92 Euro setzte sie dieses Budget vollständig für den Eigenanteil an den Heimkosten ein. Ein Antrag bei ihrer Krankenkasse, ihre Zuzahlungen zu begrenzen, blieb erfolglos, genauso der daraufhin eingelegte Widerspruch. Schließlich reichte die Heimbewohnerin Klage beim SG Osnabrück ein. Doch auch hier entschied man nicht zu ihren Gunsten.
Das SG Osnabrück war der Meinung, die Ausnahmevorschrift des § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V sei nicht anwendbar. Die Norm sieht vor, dass Versichterte, bei denen die Kosten der Unterbringung in einem Heim von einem Träger der Sozialhilfe getragen werden, die Zuzahlungen nach der Regelbedarfsstufe 1 reduziert festgesetzt werden. Nach dem SG Osnabrück setze dies allerdings voraus, dass auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung nach den Regeln der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII übernommen werden – ohne diese Annahme näher zu begründen.
Auslegung des SG "schlechthin unhaltbar"
Für diese Entscheidung haben die Sozialrichter nun eine klare Abmahnung aus Karlsruhe bekommen. Das BVerfG rügt, das SG Osnabrück habe die Voraussetzung "Kosten der Unterbringung in einem Heim" weder definiert, noch anschließend den Sachverhalt subsumiert. Stattdessen präzesiert das BVerfG selbst die Vorgaben der Norm und schlussfolgert: Der Wortlaut der Vorschrift biete keine Anhaltspunkte dafür, dass zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen darüber hinaus erforderlich sei, dass der Sozialhilfeträger Leistungen für Unterkunft und Verpflegung nach dem 3. Kapitel des SGB XII gewährt.
Die Auslegung der Norm durch das SG Osnabrück hätte außerdem zur Folge, dass ihr eigenständiger Anwendungsbereich vollständig ausgehebelt werde, da die Versicherten, die Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, bereits von § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 SGB V erfasst seien.
Einstimmig beschlossen die Karlsruher Richter daher, dass der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot insofern verletzt, als er sachlich schlechthin unhaltbar sei. Das BVerfG richtet zum Ende seines Beschlusses deutliche Worte an das SG: "Die angegriffene Entscheidung ist unter Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich, da jedwede Erwägungen zu Wortlaut, Systematik und Telos unterblieben sind." Das SG Osnabrück muss nun erneut über den Fall entscheiden.
lmb/LTO-Redaktion
BVerfG zur Belastungsgrenze bei GKV-Leistungen: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53068 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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