OVG zur AfD als Verdachtsfall: Es bleibt ein langer Weg

Kommentar von Dr. Markus Sehl

13.05.2024

Heimliche Überwachung, Abschreckungswirkung, Konsequenzen für Beamte: Das Urteil des OVG dürfte für die AfD erst einmal nicht viel ändern. Auch was die mögliche Hochstufung angeht, droht eine lange Auseinandersetzung vor den Gerichten.

Welche Folgen hat das Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster für die AfD? Erst einmal nicht besonders viele. Das stand so auch schon vor der Urteilsverkündung am Montag fest. Das OVG urteilte, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD und ihre Jugendorganisation weiter so behandeln darf wie bisher. Die Verfassungsschützer stufen die Gesamtpartei als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" ein und dürfen es weiter tun.

Das bedeutet, die Partei darf weiter im jährlichen Verfassungsschutzbericht aufgeführt werden. Die von Beobachtern erwartete Abschreckungswirkung dürfte damit aber weiter ausbleiben. Schon das erste Gerichtsurteil in der Sache, 2022 durch das VG Köln, hat daran nichts geändert. Anhand der Wahlergebnisse und Mitgliederzahlen lässt sich ein Abschreckungseffekt jedenfalls nicht erkennen. Dass das Urteil des OVG daran groß etwas ändern wird, darf man nicht erwarten.

Auch für die Beamten unter den AfD-Anhängern bedeutet das Urteil nicht viel Neues. Das Verdachtsfallstadium an sich hat für sie noch keine Konsequenzen. Anders sieht es nur für Beamte aus, die in besonderen Sicherheitsbereichen arbeiten, etwa bei einem Nachrichtendienst.

AfD muss keine intensivere Überwachung befürchten

Dass die AfD weiterhin als "rechtsextremistischer Verdachtsfall" eingestuft werden darf, erlaubt dem Verfassungsschutz auch weiterhin den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Allerdings bedeutet das nicht, dass der direkt in der Breite mit heimlichen Überwachungsmaßnahmen von Telefon- bis E-Mail-Überwachung loslegen dürfte. Speziell an die Telekommunikationsüberwachung sind in Deutschland hohe Hürden geknüpft. Man kann sogar sagen: sehr hohe. Denn bevor E-Mails oder Telefongespräche mitgeschnitten werden dürfen, braucht es ganz konkrete Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten wie Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit, Bildung einer terroristischen Vereinigung – alles Delikte aus dem Staatsschutzbereich mit voraussetzungsreichen Tatbeständen. Einzig die Volksverhetzung als Katalogstraftat mag etwas greifbarer erscheinen. Die rechtliche Ausgangslage zu heimlichen Überwachungsmaßnahmen zeigt indes, dass der laufende politische Betrieb der AfD in der Breite keine Telekommunikationsüberwachung befürchten muss.

Was bleibt? Das vielleicht klassischste Mittel der Geheimdienstarbeit: menschliche Quellen. Der Einsatz von V-Leuten ist nicht unumstritten, aber von Nachrichtendiensten als wichtiger Zugang zur Szene geschätzt. Er will aber ebenfalls wohlüberlegt sein, denn auch für ihn gibt es zahlreiche verfassungsrechtliche Grenzen, etwa die Anwerbung von Mandatsträgern selbst. Mit Blick auf ein angestrebtes Parteiverbotsverfahren bleibt es eine Herausforderung, keine Funktionsträger anzuwerben, die "steuernden Einfluss" auf die Partei ausüben, denn deren Aussagen könnten sonst wertlos werden. Ihren Beweiswert hat das BVerfG selbst eingegrenzt, das auch in diesem Fall noch ins Spiel kommen könnte.

So oder so: Der für eine heimliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz attraktive AfD-Personenkreis schrumpft schnell zusammen. Das OVG-Urteil eröffnet da keine neuen Wege.

Hochstufung brächte neue Möglichkeiten – und viel Angriffsfläche

Einschneidender könnte dagegen die mögliche Hochstufung durch den Verfassungsschutz werden, die sich bereits angekündigt hat. Im Raum steht eine Einstufung der Bundespartei als "gesichert rechtsextremistisch". Offenbar hat das BfV die Urteile vom Montag noch abgewartet. Die Hochstufung hätte dann auch Konsequenzen für Beamte, bei denen im Einzelfall ihre Verfassungstreue noch geprüft werden müssten. Allerdings würde eine neue Einstufung der AfD wieder neue Angriffsfläche bieten: Die Partei könnte auch dagegen vor Gericht ziehen, angefangen beim Verwaltungsgericht Köln bis hin zum Bundesverfassungsgericht.

Somit wird der am Montag zu Ende gegangene Verdachtsfallprozess wahrscheinlich nur eine Etappe bleiben. Auch wenn das OVG die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen hat, dürfte es vor den Gerichten weitergehen. Immerhin: Die Tatsacheninstanz ist nun schon einmal abgeschlossen, geklärt werden in diesem Fall nur noch Rechts- bzw. Verfassungsrechtsfragen, sollte der Fall auch zum BVerfG gehen.

Das alles braucht Zeit, aber es ist eine Leistung des demokratischen Rechtsstaats, ein solches Verfahren gegen eine nicht verbotene Partei Instanz für Instanz zu verarbeiten.

Zitiervorschlag

OVG zur AfD als Verdachtsfall: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54533 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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