Berliner Fördergelder nur bei Bekenntnis gegen Antisemitismus?: Kein Steu­er­geld für Anti­se­mi­tismus

von Dr. Patrick Heinemann

20.01.2024

Die Berliner Antisemitismusklausel schießt etwas über das Ziel hinaus, ist im Grundsatz aber rechtlich nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Denn Steuergelder für Antisemitismus darf es nicht geben, meint Patrick Heinemann.  

Der Berliner Kultursenator Joe Chialo hat eine Idee: Geht es nach ihm, sollen sich Empfänger von öffentlichen Fördermitteln etwa für Kulturprojekte, Kunstaustellungen oder Konzerte ab sofort zu Diversität bekennen und sich gegen jede Form von Antisemitismus positionieren. Zusätzlich zu dieser Selbsterklärung will die Berliner Senatskulturverwaltung die Förderrichtlinien dahingehend ändern, dass nur noch Projekte gefördert werden, die diese Selbstverpflichtungserklärung unterschreiben. Die Zuwendungsbescheide sollen zudem künftig die Auflage enthalten, dass sich die Zuwendungsempfänger "zu einer vielfältigen Gesellschaft […] bekennen und sich gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung, sowie gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung" stellen.

Das Anliegen ist sehr gut nachvollziehbar, vor allem nach den bitteren Erfahrungen mit der "documenta fifteen" in Kassel, bei der antisemitische Kunstwerke offen zur Schau gestellt wurden, ohne dass die zuständigen Ordnungsbehörden dagegen einschritten. Trotzdem ist fraglich, ob die bislang vorgeschlagenen Regelungen vor Gericht Bestand haben würden. Das dürfte aber nur zum Teil an der IHRA-Definition von Antisemitismus liegen, die auch von Teilen einer eher links orientierten Rechtswissenschaft Kritik erfährt. Auch aus der Kulturszene kündigt sich Widerstand an, erste Künstler sagen bereits aus Protest ihre Teilnahme an Veranstaltungen ab.

Antisemitismus im Recht

Ist ein Förderverbot bei Antisemitismus rechtlich zulässig? Antisemitismus greift den Würdeanspruch sowie die persönliche Ehre mindestens von jüdischen Menschen an. Der Schutz der Menschenwürde ist in der Rechtsordnung des Grundgesetzes absolut (Art. 1 Abs. 1 GG) und damit abwägungsresistent gegenüber anderen Grundrechten und sonstigen Verfassungsrechtsgütern. 

Der Menschenwürdeschutz bestimmt nicht nur das Staat-Bürger-Verhältnis, sondern im Wege einer mittelbaren Drittwirkung auch die Rechtsbeziehungen der privaten Rechtssubjekte untereinander. Das Bundesverfassungsgericht spricht insofern von einer "objektiven Werteordnung". Ob Antisemitismus eine grundrechtlich geschützte Meinung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) oder Kunst (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) darstellen kann, ist damit eher zweitrangig. Denn im Ergebnis können antisemitische Verhaltensweisen unter dem Grundgesetz ohnehin niemals gerechtfertigt sein. Das Ziel der Senatskulturverwaltung, die Verwendung öffentlicher Fördermittel zu antisemitischen Zwecken zu verhindern, ist somit unter dem Grundgesetz zweifelsohne legitim, ja sogar geboten.

Antisemitismus-Definition

Das leitet zu der Frage über, wie sich dieses Ziel am besten und vor allem möglichst rechtssicher erreichen lässt. Vor allem der Antisemitismus-Definition kommt dabei eine hohe Bedeutung bei: Sie sollte weder zu eng noch zu weit gefasst sein. So wird der IHRA-Definition, auf die die Senatskulturverwaltung zurückgreifen will, vor allem vorgehalten, sie erfasse überschießend auch Israel-Kritik. Besonders aggressiv fällt aktuell die "Strike Germany"-Kampagne auf, die wie ein kulturbetriebliches Pendant zur BDS-Bewegung den Boykott deutscher Kultureinrichtungen und -veranstaltungen wegen ihrer angeblich unkritischen Haltung zu Israel fordert. Ob das stichhaltig ist, sei dahingestellt. Klar ist jedenfalls auch, dass Antisemitismus bisweilen im Gewand der Israel-Kritik daherkommt.

Es dürfte weise sein, es rechtsetzungstechnisch schlicht bei dem offenen Rechtsbegriff des "Antisemitismus" zu belassen und spezielle Definitionen nicht in den Tatbestand von Normen aufzunehmen. Den Rechtsbegriff "antisemitisch" nennt etwa § 46 Abs. 2 StGB als ein Motiv, das bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, ohne dass die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm ernsthaft in Frage gestellt wird. Wer dagegen die IHRA-Definition für verbindlich erklärt, macht sich ohne Not angreifbar. Eleganter wäre es, sämtliche Klauseln auf den Rechtsbegriff des Antisemitismus zu beschränken und den Rest der Rechtsanwendung zu überlassen. Dorthin gehört die notwendige Unterscheidung im Einzelfall.

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Gleichzeitig schießen die vorgeschlagenen Klauseln über das Ziel hinaus, wenn die Zuwendungsempfänger sich zu einer vielfältigen Gesellschaft bekennen und sich gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung stellen sollen. Was ist eine vielfältige Gesellschaft, was ist ein solches Bekenntnis? Für Antisemitismus ist unter dem Grundgesetz kein Platz, für abweichende Meinungen durchaus. Solche Bekenntnisformeln, die zur Voraussetzung für die Zahlung von Fördermitteln gemacht werden, greifen stark insbesondere in Kunst- und Meinungsfreiheit ein. Sofern sich dafür überhaupt ein legitimer Zweck identifizieren lässt, dürfte das kaum verhältnismäßig sein.

Nichts anderes dürfte für die Vorgabe gelten, sich gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung stellen zu müssen. Das ist noch deutlicher unbestimmter als der Rest der vorgeschlagenen Klauseln. Zudem sind Diskriminierungen nach dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG durchaus zulässig, sofern sie sachlich gerechtfertigt sind. Gerade das muss ja auch eine gelungene Anti-Antisemitismus-Regelung im Zuwendungsrecht für sich beanspruchen: Zwischen grundsätzlich gleichberechtigten Zuwendungsempfängern zu unterscheiden – je nachdem, ob sie die Mittel voraussichtlich für antisemitische Zwecke verwenden.

Spezielle Regelungen nur für Kultur?

Ein weiteres Gleichheitsproblem stellt sich, sollte nur die Senatskulturverwaltung die Zuwendung öffentlicher Fördermittel mit einer Antisemitismus-Klausel verknüpfen. Zwar werden gerade im Kulturbereich viele Gelder verteilt, aber eben nicht nur dort. Adressat des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG ist der Stadtstaat Berlin insgesamt und nicht bloß das jeweilige Ressort. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, die Verwendung öffentlicher Gelder für antisemitische Zwecke nur im Kulturbereich auszuschließen.

Regelung in der Haushaltsordnung

Was also könnte der Senat von Berlin besser machen, damit öffentliche Fördermittel nicht zu antisemitischen Zwecken verwendet werden? Eine stabile Lösung wäre es, eine Anti-Antisemitismus-Klausel in die für Zuwendungen maßgeblichen Vorschriften der §§ 23, 44 Landeshaushaltungsordnung aufzunehmen. Entsprechende Vorschläge hat etwa das Tikvah Institut (Berlin) in einem Policy Paper von letztem Jahr vorgestellt. Damit würde nicht nur ressortübergreifend für ganz Berlin klargestellt, dass es kein Geld für Antisemitismus gibt. Vielmehr würde man damit auch Einwänden vorbeugen, für eine solche Klausel bedürfe es wegen ihrer Grundrechtsrelevanz ein parlamentarisches Gesetz. Ein solche Klausel sollte zudem einerseits auf die Abwehr von Antisemitismus enggeführt werden, andererseits den die Ausfüllung des Antisemitismusbegriffs im konkreten Einzelfall der Rechtsanwendung und der Rechtsprechung überlassen. Bei aller handwerklichen Kritik: Dass kein öffentliches Geld in antisemitische Projekte und Organisationen fließt, ist ganz im Sinne des Grundgesetzes. Insofern kann das Berliner Vorhaben – wenn es denn richtig umgesetzt wird – sogar zum Vorbild für Bund und andere Länder werden.

Zitiervorschlag

Berliner Fördergelder nur bei Bekenntnis gegen Antisemitismus?: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53686 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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