Dass der BGH den Freispruch für Markus H. bestätigte, enttäuscht vor allem diejenigen, die Gerichtsverfahren mit Untersuchungsausschüssen verwechseln. Verbleibende offene Fragen sind jedoch kein Kriterium für eine erfolgreiche Revision.
Mit der Kritik dauerte es nicht lange. Nach Verkündung des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) und damit Bestätigung des Freispruchs von Markus H. wegen des Vorwurfs der Beihilfe zu Mord, hieß es etwa auf Twitter: Gerichte würden am "Einzeltäter-Narrativ" festhalten und Unterstützer straffrei davonkommen lassen. Dass eben dies, nämlich die Unterstützung der Tat durch Markus H., im Prozess vor dem OLG Frankfurt gerade nicht bewiesen werden konnte, wird da gerne ausgeklammert. Wen kümmert schon der Rechtsstaat, wenn es gegen Staatsfeinde geht. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion des Hessischen Landtags Torsten Felstehausen schimpfte über das Urteil. Es sei bitter, dass nun die Rolle von Markus H. nicht erneut betrachtet werden könne. Dies wäre nötig gewesen, um H.s Einbindung in die rechte Szene und Waffenhandelsnetzwerke sowie seinen Beitrag zum Mord an Lübcke beurteilen zu können.
Gerade im politischen Raum hält sich aus Unkenntnis oder Kalkül der Gedanke hartnäckig, dass Gerichtsverfahren gleichsam als Untersuchungsausschüsse für das Aufdecken von Machenschaften der rechten oder welchen Szene auch immer herhalten sollten. Das konnte etwa auch im NSU-Prozess beobachtet werden. Je nach politischer Couleur wird dann nach dem Urteil kritisiert, dass Aufklärung über "Netzwerke" unterblieben sei. So wird man etwa Kritik von Herrn Felstehausen, dass in einem Gerichtsverfahren die linksextreme Szene nicht ausgeleuchtet wurde, mit Sicherheit nirgendwo lesen können.
Offene Fragen allein sind kein Grund für eine erfolgreiche Revision
Abgesehen davon, dass sich die Aufgabe des Gerichts darauf beschränkt, die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu beurteilen und nicht irgendwelche vom konkreten Fall losgelöste Netzstrukturen aufzudecken, ist im Fall H. zudem nicht im Ansatz erkennbar, wieso eine "erneute Betrachtung" weiteren Erkenntniswert gebracht hätte. Was sollte nach erneuter Befragung all der Zeugen anderes herauskommen, als dass nun einmal kein einziger derselben über Gespräche zwischen Ernst und H. berichten konnte, in denen H. seinen Kumpel zur Tat anstachelte oder diese zumindest guthieß.
Ein ähnliches Fehlverständnis von der Rolle des Gerichts hatte auch die Familie Lübcke, die aus emotional absolut verständlichen Gründen nichts unterlassen wollte, um doch noch die Rolle des Markus H. beleuchten zu können. Der erste Prozess ließe doch so manche Fragen offen, sagte die Witwe Irmgard Braun-Lübcke in der mündlichen Verhandlung. Doch ein Strafprozess endet nicht dann, wenn keine Fragen mehr offen sind, sondern wenn keine offenen und relevanten Fragen mehr geklärt werden können.
"Es ging um etwas"
Einfühlsam sprach der Vorsitzende BGH-Richter Jürgen Schäfer heute davon, dass der Wunsch der Familie nach genauerer Aufklärung verständlich sei. Dass dies nicht geschah, habe aber an der konkreten Beweislage gelegen und nicht etwa am Unwillen der Richterinnen und Richter am Oberlandesgericht Frankfurt (OLG).
Eine zutreffende Einordnung. Das OLG hat in 45 Verhandlungstagen dutzende Zeugen, auch Bekannte von H., etwa seine Ex-Freundin, gehört, und sich stundenlang über Hauspläne gebeugt und über mögliche Szenarien der Tat beraten. Immer wieder wurde auch den Aussagen von Stephan Ernst, die Markus H. belasteten, nachgegangen. Dass bei dem notorisch lügenden Stephan Ernst letztlich dessen belastende Aussage nicht zur Verurteilung ausreichen konnte, war eine zutreffende Annahme. Der BGH sah insoweit auch – entgegen Andeutungen in der mündlichen Verhandlung – keine Aufstellung einer unzulässigen Beweisregel im Sinne eines "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht", trotz einer missverständlichen Formulierung im Urteil des OLG.
Vielleicht abgesehen von der fehlenden Ortsbesichtigung konnte dem OLG wahrlich nicht der Vorwurf mangelnder Aufklärung gemacht werden. Die wiederkehrenden Worte des inzwischen pensionierten OLG-Vorsitzenden Thomas Sagebiel "Es geht um etwas" ließ der Frankfurter Senat auch Taten folgen – zumindest, was den Mordfall Lübcke angeht.
Freispruch von Ernst wegen versuchten Mordes zweifelhaft
Schon eher kann dem OLG der Vorwurf gemacht werden, den versuchten Mord am Flüchtling Ahmed I. nicht hinreichend aufgeklärt zu haben. Zwar fand die Polizei an einem Messer von Ernst DNA-Mischspuren von I - doch ein Rechnungsbeleg, nachdem Ernst ein solches Messer nach der Tat gekauft hatte, reichten dem OLG für die Annahme, dass Ernst nicht Täter bei einer Attacke auf I. sein könne. Den Fragen, warum überhaupt eine solche Rechnung von Ernst aufgehoben wurde, ob er vielleicht nur ein weiteres Messer kaufte, um genau diese Rechnung später als Gegenbeweis vorlegen zu können, ging das OLG jedenfalls nicht intensiv nach, was die Bundesanwaltschaft und den Nebenkläger zu ihrer Revision veranlasste. Auch die Frage, warum sich überhaupt DNA-Mischspuren einer anderen Person, höchstwahrscheinlich aus dem kurdisch-irakischen Raum, am Messer von Ernst fanden, wurde nicht weiter thematisiert.
Der BGH monierte dies nicht, das OLG sei den Beweisfragen hinreichend nachgegangen. Und auch das dürfte vertretbar sein. Denn grob lückenhaft, unklar oder widersprüchlich war die Beweiswürdigung des OLG auch hier wohl nicht. Und nur das ist der Maßstab für eine erfolgreiche Revision und nicht, ob ein anderes Ergebnis ebenfalls nachvollziehbar gewesen wäre oder in den Worten Schäfers "vielleicht sogar näherliegend ist“.
Trotz rechtskräftigem Urteil könnte hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Sofern auch DNA-Mischspuren bald technisch eindeutig zugeordnet werden könnten, - darauf deutet neue Forschung hin - könnte nach der neu eingeführten Vorschrift zur Wiederaufnahme von Strafverfahren möglicherweise der Fall irgendwann wieder aufgerollt werden. Jedenfalls dann, wenn das BVerfG die Vorschrift aus der StPO nicht für verfassungswidrig erklärt.
Gescheiterte Wahrheitssuche auch im Fall Lübcke
Was den Mordfall Lübcke angeht, muss die Familie und die Gesellschaft damit leben, dass die Suche nach der vollen Wahrheit gescheitert ist. Auch in einem neuen Prozess wären neue Kenntnisse, ob und wie Markus H. an der Tat beteiligt gewesen ist, nicht zu erwarten.
Der vom BGH bestätigte Freispruch war daher folgerichtig. Richter Schäfer macht aber auch klar, dass Freisprüche "keine Schwäche" seien. Im Gegenteil sei es eine "große Errungenschaft und Stärke" rechtsstaatlicher Strafverfahren, dass ein Angeklagter nur dann verurteilt werden könne, wenn keine "vernünftigen Zweifel" dagegen sprächen.
H. hat seine rechtsextremistische Einstellung vielfach durch Grinsen und Lachen im Prozess deutlich gemacht. Auch die bei ihm gefundenen NS-Devotionalien lassen daran keinen Zweifel. Doch ein überzeugter Nazi ist nicht gleich ein Mordgehilfe. Nicht die rechtsextreme Gesinnung, sondern nur die richterliche Überzeugung von der Tatbegehung darf im Rechtsstaat zu einer Verurteilung führen. In den Worten von Richter Schäfer: "Das Ja zum Rechtsstaat ist nicht teilbar." Dies sollten auch Kritiker des Urteils verinnerlichen.
Zur Kritik an den Freisprüchen des BGH im Mordfall Lübcke: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49435 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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