ICOs leicht erklärt: Auch nur BGB BT

Gastbeitrag von Dr. Sebastian Keding und Dr. Thiemo Schäfer

03.11.2018

ICO – das klingt total hipp, und das ist es auch. Trotzdem gelten für diese Finanzierungsart die ganz normalen Regeln für Fernabsatzverträge, erklären Sebastian Keding und Thiemo Schäfer.

ICOs (initial coin offerings) oder Token Sales sind als Finanzierungsform insbesondere bei Start-Ups extrem beliebt. Medien gehen davon aus, dass im ersten Halbjahr 2018 rund 13,7 Milliarden Dollar mit Token Sales eingenommen wurden.

Wie der Name es sagt, werden bei Token Sales so genannte Token verkauft. Diese sind (sehr stark vereinfacht) nichts anderes als Datenpakete, die in einem Computernetzwerk einem Teilnehmer dieses Netzwerks zugeordnet sind. In vielen Fällen werden sie durch die Eingabe von ein paar Zeilen Computercode geschaffen und anschließend veräußert. Mit den Token sollen üblicherweise ein bestimmter Nutzen oder bestimmte Rechte verbunden sein. Hier gibt es viele verschiedene Möglichkeiten: Ein Token kann etwa vergleichbare Rechte wie ein klassisches Finanzinstrument, z.B. ein Genussschein, vermitteln, als Zahlungsmittel innerhalb eines Netzwerks dienen oder seinem Inhaber ein Recht auf Zugang zu einem Produkt in einem Netzwerk ermöglichen.

So vielgestaltig die Erscheinungsformen sind, so gleichförmig laufen üblicherweise die Token Sales ab. Auch die verwendeten Dokumente sind in der Regel vergleichbar. Es gibt ein Token Sale Agreement, die Terms and Conditions (AGB) und das Whitepaper. Das Token Sale Agreement ist schlicht der Erwerbsvertrag. In dem dazugehörigen Whitepaper werden die wesentlichen Eigenschaften des Token bzw. des Unternehmens beschrieben. Der Abschluss des Erwerbs erfolgt in aller Regel über das Internet.

Unternehmen, die einen Token Sale durchführen, haben bisher in erster Linie aufsichtsrechtliche Themen im Blick – wie z.B. Frage, ob es erforderlich ist, eine BaFin-Erlaubnis einzuholen. Stolpersteine und Haftungsrisiken können sich darüber hinaus aus dem Verbraucherschutz- und dem allgemeinen Schuldrecht ergeben.

Funktioniert wie Fernabsatzverträge

Wenn sich der Verkauf auch an Verbraucher richten soll, gilt bei Token Sales nichts anderes als bei anderen Fernabsatzverträgen, d.h. über das Internet abgeschlossenen Verträgen. So dürfte dem Verbraucher etwa ein Widerrufsrecht zustehen, über das wie üblich fehlerfrei belehrt werden muss, um eine spätere Rückabwicklung des Vertrags auszuschließen.

Das deutsche Recht kennt zwar darüber hinaus die Möglichkeit, dass Verbraucher auf ihr Widerrufsrecht verzichten. Zur Frage, ob dies auch bei Token Sales gilt, gibt es jedoch bisher keine gefestigte Rechtsprechung. Daher sollte der Veräußerer von der Unanwendbarkeit der Verzichtsregeln ausgehen – und damit zugleich davon, dass ein Widerrufsrecht besteht.

In der Praxis wird häufig versucht, an diesen Themen vorbeizukommen, indem ein Verkauf an Verbraucher ausgeschlossen oder die Erklärung des Erwerbers verlangt wird, dass es sich bei ihm nicht um einen Verbraucher handele. Beides ist zumindest grundsätzlich möglich. Leicht übersehbare Klauseln in den AGB reichen dazu nach der Rechtsprechung allerdings nicht.

Umgehung des deutschen Rechts klappt nicht

Und noch etwas geht nicht, nämlich das deutsche Recht vollständig zu umgehen, wenn deutsche Verbraucher beteiligt sind. Zwar kann das anwendbare Recht prinzipiell frei gewählt werden. Sofern allerdings im Rahmen eines Token Sales auch deutschen Verbrauchern die Möglichkeit des Erwerbs eröffnet wird, kommt grundsätzlich auch deutsches Verbraucherschutzrecht zur Anwendung. Denn im Wege eines Günstigkeitsvergleichs kann kein geringerer als der zwingende deutsche Standard Anwendung finden. Mit anderen Worten: Wo deutsche Verbraucher in gezielt als Erwerber in den Blick genommen werden, muss sichergestellt werden, dass die Vertragsdokumentation nicht hinter diejenigen Schutzmechanismen zurückfällt, die das deutsche Recht zu deren Gunsten vorsieht.

Häufig wird zudem übersehen, dass aus der Vertriebsform über das Internet bestimmte Informationspflichten folgen, wie die unverzügliche Bestätigung des Zugangs der Bestellung oder die Abrufbarkeit der Vertragsbestimmungen. Kommt der Tokenveräußerer seiner Informationspflicht nicht oder nur unzureichend nach, setzt er sich dadurch möglichen Schadensersatzansprüchen des Erwerbers aus und eröffnet diesem ggf. sogar die Möglichkeit einer Anfechtung des Vertrags.

Bei einem Token Sale Agreement sowie den Terms and Conditions dürfte es sich regelmäßig um AGB handeln – also lauern die üblichen Fehlerquellen wie überraschende oder mehrdeutige Klauseln (§305c Bürgerliches Gesetztbuch, BGB) oder unangemessene Benachteiligung (§307 BGB). Im Zweifel folgt die Unwirksamkeit der Klausel, an ihre Stelle treten die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften (§ 306 Abs. 2 BGB). Das gilt auch für den Haftungsausschluss, den der Tokenveräußerer in der Praxis gerne "to the fullest extent permitted by applicable laws" formuliert. Nach deutschem AGB-Recht ist eine solche Klausel unwirksam, was – aus Sicht des Tokenveräußerers – die unschöne Folge hat, dass schlichtweg gar keine Haftungsbeschränkung gilt.

Risiken im Zusammenhang mit dem Whitepaper

In der Vergangenheit – und zum Teil auch heute noch – werden Whitepapers äußerst unsorgfältig zusammengebastelt, teilweise indem fremde Whitepapers einfach auszugsweise kopiert werden. Das ist äußerst problematisch. Auch wenn es sich bei den Whitepapern nicht um Prospekte im wertpapierhandelsrechtlichen Sinne handelt, kommt für die im Whitepaper gemachten Angaben eine Haftung des Veräußerers nach der sog. bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung im engeren Sinne für die Vollständigkeit und Richtigkeit des Prospekts oder im weiteren Sinne für konkret in Anspruch genommenes Vertrauen in Betracht.

Sofern der Tokenveräußerer im Rahmen eines Whitepaper über die wesentlichen Eigenschaften des Tokens bzw. des Unternehmens informiert, liegt zunächst einmal die Annahme nahe, dass er dadurch einen entsprechenden Vertrauenstatbestand schafft, an dem er sich festhalten lassen muss. Nachträgliche Änderungen des Whitepapers oder auch sonstiger für den Vertrag relevanter Inhalte sind – jedenfalls zulasten des Erwerbers – nicht ohne Weiteres zulässig.

Damit dürften entsprechende Klauseln in den AGB unzulässig sein, die den jeweils aktuellen Inhalt des Whitepapers für maßgeblich erklären. Denn bereits bei und vor Vertragsschluss gemachte Angaben können gemäß § 312d Abs. 1 S. 2 BGB teilweise Vertragsinhalt werden. Weicht man nun in AGB von diesen Angaben ab, so könnte es sich insoweit um überraschende Klauseln im Sinne des § 305c I BGB handeln oder ein Verstoß gegen das Transparenzgebot im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB begründet sein. Änderte man den Inhalt nachträglich zulasten des Verbrauchers, so müsste aus Verbraucherschutzgründen in der Inhaltsänderung ein Angebot zur Vertragsänderung gesehen werden, welches vom Verbraucher angenommen werden müsste.

Und auch die Gewährleistungsrechte sind dabei!

Sofern deutsches Recht zur Anwendung kommt, gilt das kaufrechtliche Mängelgewährleistungsrecht aus den §§ 437 ff. BGB – unabhängig davon, ob die Token gegen Geld, oder im Tausch gegen andere Token ausgegeben werden. Mängelgewährleistungsrechte können einem Erwerber insbesondere dann zustehen, wenn die tatsächliche Beschaffenheit der erworbenen Token negativ von der geschuldeten Beschaffenheit abweicht. Deshalb sollten insbesondere die im Whitepaper gemachten Angaben zu den Eigenschaften des Token mit großer Sorgfalt formuliert werden.

Der Tokenveräußerer muss sich allerdings nicht nur an den im Whitepaper gemachten Angaben festhalten lassen, sondern auch, wenn sie auf seiner Website oder in sonstigen sozialen Medien erscheinen, welche die Tokenveräußerer üblicherweise nutzen, um auf ihr Produkt aufmerksam zu machen (Slack, Discord, Reddit etc).

Insgesamt gilt hier schlichtweg, was ohnehin klar sein dürfte: Es darf nichts versprochen werden, was später nicht eingehalten wird. Soll nachträglich von einer versprochenen Beschaffenheit abgewichen werden, wäre dafür eine individualvertragliche gegenteilige Beschaffenheitsvereinbarung erforderlich. In AGB wäre eine nachträgliche Abweichung zu Lasten eines Verbrauchers jedenfalls unwirksam.

Bei einem Token Sale müssen also das Whitepaper, die Terms and Conditions, die Übertragungsverträge, aber auch die öffentlichen Äußerungen der Unternehmen "passen" und sollten mit Sorgfalt aufgesetzt bzw. abgegeben werden. Im schlimmsten Fall droht sonst eine erhebliche Finanzierungsunsicherheit für junge Start-Ups, weil zB eine fortlaufende Widerrufsmöglichkeit des Erwerbers besteht. Auch hier gilt allerdings: Risiken gibt es einige – Lösungsmöglichkeiten aber ebenfalls. Was des Einen Aufwand ist, kann außerdem des Anderen Vorteil sein: Insbesondere für Verbraucher, die Token im Zusammenhang mit Token Sales gekauft haben, die nicht ordentlich aufgesetzt waren, bietet sich ggf die Möglichkeit, eine Rückabwicklung des Tokenerwerbs zu verlangen.

Die Autoren Dr. Sebastian Keding und Dr. Thiemo Schäfer, LL.M. sind Rechtsanwälte bei McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP.

Zitiervorschlag

ICOs leicht erklärt: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31863 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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