Wenn ein Ex-Großkanzlei-Anwalt und ein Senior Project Manager mit Schwerpunkt Digitalisierung das Thema Legal Tech für den Familienrechtler ums Eck erden wollen, muss man nachfragen. Ein Gespräch mit Ole Bertram. Und erstaunlich wenig Buzzwords.
LTO: Sie haben gemeinsam mit Markus Hartung ein Seminar geleitet unter dem Namen "Legal Tech - brauche ich nicht! Verloren zwischen künstlicher Intelligenz, Hype und dem beA". Ein Ex-Großkanzlei-Anwalt sowie Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession und ein Senior Project Manager mit Schwerpunkt Digitalisierung erklären also Familienrechtlern, wie sich deren Welt verändert?
Bertram: Die konkrete Anfrage für das Seminar kam von der ARGE Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins, die das Thema angehen wollte. Und der Titel ist selbstverständlich eine kleine Provokation mit Blick auf den derzeitigen Wirbel um den Begriff "Legal Tech", der im Moment in aller Munde ist – und den man ja ganz unterschiedlich eng oder weit definieren kann. Software, die rechtliche Prozesse unterstützt, gibt es schließlich schon seit Jahrzehnten. Aber wir konnten unter diesem Titel auch vielen Fragen aus dem Markt begegnen: Ist das eine Chance oder Bedrohung? Wie läuft das mit meiner Arbeit zusammen? Worauf muss ich mich vorbereiten? Und: Wovon spricht die Szene da eigentlich?
LTO: In der Tat ist um das Thema Legal Tech ja mittlerweile ein ziemlicher Hype entstanden. Das Niveau, auf dem die „Szene“ denkt, scheint dabei häufig doch recht weit weg zu sein von der Realität des Durchschnittsanwalts, der seine Webseite nicht auf die ersten 5 Seiten der Google-Trefferlisten bekommt und daran scheitert, sich im Besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu registrieren. Sehen Sie sich als die Heilsbringer, die nun, weg von Artifical Intelligence und Blockchains, den Anwälten erklären, was „Legal Tech“ für sie wirklich bedeutet?
Betram: Wir wollten jedenfalls einer gewissen Angst vor dem Unbekannten begegnen und das Thema etwas erden. Also den Anwälten erklären, was es gibt, welche Entwicklungen anstehen und was das für sie konkret bedeutet.
Die Blockchain, die Sie ansprechen, ist ein schwieriges und technologisch hochkomplexes Thema, das derzeit in aller Munde ist. Aber es handelt sich um ein Spezialthema, das für Anwälte im Moment allenfalls in der Beratung von Mandanten eine Rolle spielt, die sich zum Beispiel mit Bitcoins beschäftigen. Auf den Kanzleialltag des Familienrechtlers hingegen hat die Blockchain auf absehbare Zeit sicherlich keine Auswirkungen.
Schneller könnte noch die aktuell ebenfalls viel diskutierte Künstliche Intelligenz eine Rolle spielen. In den USA gibt es auf dem Gebiet recht große Fortschritte, erste Versuche hierzulande, die u.a. von der Bucerius Law School begleitet wurden, sind durchaus interessant. Aber auf den deutschen Markt ist vieles sowohl unter sprachlichen Aspekten als auch wegen des völlig anders gearteten Rechtssystems nur schwerlich übertragbar.
"Das Ende der Regionalität: eine Gefahr und riesige Chancen"
LTO: Und was ändert nun den Kanzleialltag des Familienrechtlers um die Ecke?
Bertram: Sie sprechen es an, genau so sehen sich die Familienrechtler noch sehr stark: In Bezug auf die Digitalisierung und das Internet haben sie noch eine ganz andere Wahrnehmung als zum Beispiel IP/IT-, Medien oder Wirtschaftsrechtler. Das liegt sicherlich daran, dass im Familienrecht aus naheliegenden Gründen die persönliche Beratung eine große Rolle spielt. Und das wiederum ist wohl auch der Grund dafür, dass der Wegfall der Regionalität in der Wahrnehmung der Anwälte für Familienrecht noch so gut wie keine Rolle spielt – dabei kann man mit technischen Hilfsmitteln wie Whatsapp oder Videochat längst auch bundesweit tätig sein.
Stattdessen steht aber oft noch die Frage im Vordergrund, ob man im örtlichen Telefonbuch stehen sollte. Und als Konkurrenz wird eher der Kollege vor Ort wahrgenommen, der in den Google-Suchergebnissen weiter vorn steht, als automatisierte Produkte, die zu Festpreisen anwaltliche Arbeit übernehmen.
LTO: Eine Fehleinschätzung, die den Einzelnen viel Geld kosten, oder, wenn die Anwälte sie mittelfristig nicht ablegen, gar den ganzen Markt verändern kann?
Bertram: Tatsächlich besteht, von vielen Anwälten noch fast unbemerkt, schon heute eine ganz reale Gefahr durch Portale wie jurato.de, smartlaw.de*, scheidung.de oder scheidung.org, die bestimmte Angebote in der Masse besser machen können als Anwälte. Das gilt zum Beispiel für Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten oder einvernehmliche Vereinbarungen – diese Entwicklung zu ignorieren, wäre gefährlich.
"Nicht nur mehr Mandanten finden, sondern bessere"
LTO: Aber muss denn, gerade mit Blick auf kleine Kanzleien, überregional akquirieren, wer regional erfolgreich ist?
Bertram: Natürlich muss das niemand. Die Anwälte vergeben aber große Chancen. Sie können den potenziellen Mandantenmarkt nämlich nicht nur vergrößern, sondern auch verbessern. Auch diejenigen unter ihnen, die nicht deutschlandweit akquirieren, weil sie es schlicht „nicht nötig“ haben, könnten durch eine bessere Aufstellung im Internet lohnendere Mandate an Land ziehen.
Das liegt auch an einem Aspekt, den viele Anwälte noch unterschätzen: Die elektronische Kommunikation macht die Welt nicht nur viel größer. Sie gibt dem Einzelnen auch die Möglichkeit, das eigene Bild und damit auch eigene Fähigkeiten besser heraus zu stellen und damit mit den Mandanten zu arbeiten, die am besten passen - und die eigenen Stärken voll auszuspielen. Sind Sie die Richtige, wenn der Mandant einen harten Hund sucht, der nicht nur bellt, sondern auch mal zubeißt? Oder sind sie der perfekte Mann für die leisen Töne, der mit viel Empathie das Beste für die Kinder heraus holt?
LTO: Also verändert sich derzeit vor allem die Art, wie Anwälte Mandanten akquirieren?
Bertram: Sicherlich sind die Automatisierung und Industrialisierung bestimmter Dienstleistungen das Konkreteste, woran man im Moment arbeiten kann, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Veränderungen gibt es aber nicht nur in der Akquise, sondern auch bei der Aufnahme des Sachverhalts, der Kommunikation mit Mandanten und Gerichten und natürlich ganz allgemein in den Kanzleiabläufen, speziell der Textbearbeitung und Erstellung von Schriftsätzen.
Pia Lorenz, Legal Tech, für Familienrechtler erklärt: . In: Legal Tribune Online, 29.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23304 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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