Seit dem 21. Juli gilt ein höherer Schwellenwert für prospektfreie Angebote von Aktien oder Anleihen. Unternehmen hoffen auf leichteren Zugang zum Kapitalmarkt. Zweifel sind angebracht, ob sich diese Hoffnung erfüllt, meint Stephan Schulz.
Wenn ein Unternehmen Wertpapiere am Kapitalmarkt öffentlich anbieten möchte, muss es einen Wertpapierprospekt erstellen und ein langwieriges Verfahren vor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) durchlaufen. Dies regelt das Wertpapierprospektgesetz.
Am 21. Juli 2018 wurde in Deutschland mit dem "Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze" ein neuer Schwellenwert eingeführt, der prospektfreie Wertpapierangebote im Umfang von bis zu acht Millionen Euro erlaubt. Die neue Freiheit gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Der Gesetzgeber hat die Nutzung des Spielraums an einige Bedingungen geknüpft, die die Attraktivität der Regelung für die Unternehmen verringern. Ob sich die neuen Regeln in der Praxis durchsetzen werden, wird sich zeigen.
Der Anstoß kommt aus Brüssel
Die Neuregelung in Deutschland geht zurück auf eine Änderung im europäischen Recht: Schon im Juni 2017 wurde die Europäische Prospektverordnung verkündet, ihre Regelungen treten seitdem schrittweise in Kraft. Das Wertpapierprospektrecht wird damit unmittelbar auf europäischer Ebene geregelt. Die Mitgliedstaaten dürfen nur noch Regelungen treffen, wenn sie hierzu in der Verordnung ermächtigt worden sind – und dazu gehören Schwellenwerte bei rein nationalen Angeboten von Wertpapieren. Denn die Verordnung sieht eine Ermächtigung an die Mitgliedstaaten vor, dass sie nicht-grenzüberschreitende öffentliche Angebote von Wertpapieren im Gesamtbetrag von bis zu acht Millionen Euro von der Prospektpflicht ausnehmen dürfen.
Europaweit gilt seit dem 21. Juli 2018 darüber hinaus ein Schwellenwert von einer Million Euro, bislang lag er bei 100.000 Euro. Bleibt das Gesamtvolumen von öffentlichen Angeboten an Wertpapieren eines Emittenten – also desjenigen, der die Papiere ausgibt - im Laufe eines Jahres unter diesem Betrag, muss hierfür kein Prospekt erstellt werden. Bislang konnten die Mitgliedstaaten frei entscheiden, ob öffentliche Angebote im jährlichen Gesamtbetrag von bis zu fünf Millionen Euro mit oder ohne Prospekt durchgeführt werden mussten; das europäische Recht regelte diesen Bereich nicht.
Hohe Kosten für Prospekte
Ziel der neuen Prospektverordnung ist es, die europäischen Kapitalmärkte für Unternehmen und Investoren attraktiver zu machen. Im Vergleich zu den USA ist die Zahl der Börsengänge in Europa nach wie vor niedrig. Das liegt auch an den hohen Kosten für die Erstellung der Wertpapierprospekte, die regelmäßig auch bei einer kleinen Emission im sechsstelligen Bereich liegen.
Europäische Unternehmen finanzieren sich auch deshalb tendenziell eher über Banken als über die Kapitalmärkte. Das gilt vor allem für kleine und mittlere Unternehmen: Wenn sie die Kapitalmärkte in Anspruch nehmen, geht es um kleinere Volumina, bei denen die Kosten für die Prospekterstellung stärker ins Gewicht fallen. Kleinen und mittleren Unternehmen kommen die höheren Schwellenwerte daher besonders zu Gute. Solange ihre Emissionen darunter bleiben, können sie ohne den Aufwand und die Kosten einer Prospekterstellung Mittel am Kapitalmarkt einwerben.
Komplexes System von Schwellenwerten
Der deutsche Gesetzgeber hat auf die am 21. Juli 2018 in Kraft getretenen europarechtlichen Neuerungen eben mit dem mit dem "Gesetz zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze" reagiert. Damit schafft er ein System von Schwellenwerten für prospektfreie Angebote von Wertpapieren, das erheblich komplexer ist, als es die europäische Verordnung vorgibt:
- Öffentliche Angebote im Gesamtgegenwert von bis zu acht Millionen Euro können ohne Prospekt umgesetzt werden. Erforderlich ist allerdings, dass ein Wertpapier-Informationsblatt (WpIB) veröffentlicht wird und bestimmte Regeln bei der Ansprache nicht qualifizierter Anleger (in erster Linie: Privatpersonen) beachtet werden.
- Bleibt der Gesamtgegenwert unter einer Millionen Euro, kommt es für die Prospektfreiheit nur auf das WpIB an. Die Beschränkungen für die Ansprache nicht qualifizierter Anleger gelten dann nicht mehr.
- Bei einem Gesamtgegenwert von weniger als 100.000 Euro ist auch kein WpIB mehr erforderlich.
- Daneben gilt nach wie vor ein Schwellenwert von 5 Mio. Euro für öffentliche Angebote von bestimmten Kreditinstituten und Unternehmen, deren Aktien bereits an einem regulierten Markt – sprich in einem gesetzlich regulierten Börsensegment – zum Börsenhandel zugelassen sind. Bleiben diese Emittenten unter der Schwelle, können sie das Angebot ohne WpIB und Beschränkungen bei der Ansprache nicht qualifizierter Anleger durchführen.
Ziel der Neuregelung ist Anlegerschutz
Mit dem WpIB und den Ansprachebeschränkungen möchte der deutsche Gesetzgeber die Anleger schützen. Bei dem WpIB handelt es sich um ein maximal drei DIN-A4-Seiten langes Dokument, das in stark komprimierter Form wesentliche Informationen, unter anderem über die angebotenen Wertpapiere, den Anbieter (d.h. die begleitende Bank) und den Emittenten enthalten muss. Bevor es veröffentlicht werden darf, muss es von der BaFin gebilligt werden. Zuvor muss ein behördliches Billigungsverfahren durchlaufen werden. Dies sollte aber aufgrund der Kürze des Dokuments und kürzerer Fristen schneller abgeschlossen werden können als ein Prospektbilligungsverfahren. Emittent und Anbieter haften für den Inhalt des WpIB.
Sollen nicht qualifizierte Anleger angesprochen werden, müssen die Wertpapiere über Vertriebspartner (in der Regel: Banken) verkauft werden, die Auskunfts- und Prüfungspflichten über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihrer Kunden unterliegen. Diese Unternehmen müssen zunächst eine Selbstauskunft der Kunden einholen. Aufgrund dieser Selbstauskunft gilt für jeden Anleger ein Höchstbetrag zwischen 1.000 Euro und 10.000 Euro, den er in das Wertpapier investieren darf. Diese Höchstbeträge müssen beim Absatz der Wertpapiere eingehalten werden.
Weiter kein leichter Zugang zum Kapitalmarkt
Der deutsche Gesetzgeber hat den Konflikt zwischen Entlastung der Unternehmen und Anlegerschutz somit deutlich zugunsten der Anleger gelöst. Das Erreichen des Ziels, den Zugang zum Kapitalmarkt für die Unternehmen einfacher und günstiger zu machen, wird vor allem durch zwei Aspekte beeinträchtigt.
Zum einen kann es sein, dass bei Transaktionen, die unter den Schwellenwert von acht Millionen Euro fallen, für eine Zulassung der Wertpapiere zum Handel ein Prospekt zu erstellen ist. Hierfür gibt es keine spezielle Ausnahmevorschrift, so dass bei den betroffenen Unternehmen Unsicherheiten bestehen.
Das schränkt den praktischen Anwendungsbereich bei Börsengängen erheblich ein, weil sie auf Grundlage der neuen Regelungen prospektfrei nur im weniger regulierten Freiverkehr möglich sind. Emissionen von Anleihen, die üblicherweise nicht im regulierten Markt gehandelt werden, sind hiervon allerdings nicht betroffen.
Zum anderen dürfte die gesetzliche Haftung für Fehler des WpIB dazu führen, dass sich die beteiligten Banken ähnlich wie bei prospektpflichtigen Emissionen vertraglich gegen das Haftungsrisiko absichern und möglicherweise sogar eine Due Diligence durchführen werden. Das wiederum würde zu Transaktionskosten führen, die der Emittent tragen muss und die eigentlich durch die Prospektfreiheit vermieden werden sollten.
Der Autor Dr. Stephan Schulz ist Rechtsanwalt und Associated Partner im Hamburger Büro der Kanzlei Noerr. Er ist spezialisiert auf die Beratung in aktien- und kapitalmarktrechtlichen Fragen.
Neue Schwellenwerte für Zugang zum Kapitalmarkt: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29917 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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