Studie zur Digitalisierung in Rechtsabteilungen: Näher am Busi­ness, doch von Legal Tech weit weg

von Pia Lorenz

29.04.2020

Nur die Hälfte der deutschen Rechtsabteilungen verfolgt eine echte Digitalisierungsstrategie, konkrete Zeitpläne oder ein echtes Budget haben die wenigsten. Dabei haben Deutschlands Unternehmensjuristen viel vor.

Für deutsche Rechtsabteilungen ist die Zusammenarbeit das Allerwichtigste. Die mit den Businessabteilungen der Unternehmen, in denen sie arbeiten, ebenso wie mit den anderen Fachabteilungen.

Mit den Technologien, die seit einigen Jahren unter dem Begriff "Legal Tech" gehandelt werden, ist es hingegen in den deutschen Legal Departments noch nicht allzu weit her. Mehr als die Hälfte der deutschen Rechtsabteilungen sieht die Strukturierung von Prozessen sowie das Dokumenten- und Vertragsmanagement als die wichtigsten Bereiche, die sie in den kommenden Jahren verbessern wollen. Selbst in der nahen Zukunft wird es mithin weiter noch eher um klassisches Office Tech gehen als um echtes Legal Tech, also Tools, die die Juristen bei ihrer originär juristischen Tätigkeit unterstützen.

Für allzu erfolgreich halten die deutschen Rechtsabteilungen sich dann in Sachen Digitalisierung auch bisher nicht. Dabei verfolgt etwa die Hälfte von ihnen durchaus eine Strategie. Aber neben dem technischen Know-How fehlen ihnen vor allem ein klarer Plan sowie ein konkretes Budget. Das zeigt eine Studie von Wolters Kluwer, zu deren deutscher Tochter auch LTO gehört, und der European Company Lawyers Association (ECLA). Die Untersuchung zeigt auch, dass das Selbstverständnis deutscher Unternehmensjuristen sich von dem ihrer europäischen Kollegen in einem wichtigen Punkt unterscheidet. Und dass die Inhousejuristen nicht planen, künftig mehr Arbeit an externe Kanzleien zu vergeben.

Deutsche Rechtsabteilungen weiterhin eher reaktive Serviceabteilung

Die paneuropäische Studie wurde von dem Softwareunternehmen und der europäischen Vereinigung von Unternehmensjuristen in Deutschland, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Belgien durchgeführt. Von den angefragten 940 Unternehmen haben 387 geantwortet, darunter mit 134 die meisten aus Deutschland. Die teilnehmenden Unternehmen, etwa die Hälfte von ihnen mit einem Jahresumsatz von über einer Milliarde Euro, stellen nach Angaben von Wolters Kluwer einen repräsentativen Schnitt durch die europäische Unternehmenslandschaft vom Finanzsektor bis zum Maschinenbau dar. 57 Prozent der Antworten stammen von den General Counsel, also dem jeweiligen Chef der befragten Rechtsabteilung.

Gefragt nach ihrer Positionierung im Unternehmen antworteten 31 Prozent von ihnen, ihre Abteilung verhalte sich innerhalb des Unternehmens wie eine externe Anwaltskanzlei, arbeite also vor allem auf Anfrage und projektbasiert. Dieser recht hohe Anteil von Unternehmensjuristen, die sich in dieser eher reaktiven Rolle sehen, weicht relativ deutlich vom Bild der anderen Staaten ab: Insgesamt sahen nur 24 Prozent der Teilnehmenden ihr Legal Department in dieser eher reaktiv begleitenden Position, in den benachbarten Niederlanden waren es gar nur 13 Prozent.

Ganze 87 Prozent der holländischen Syndizi betrachten ihre Abteilung dagegen als eingebunden in die Prozesse für das Management rechtlicher Risiken innerhalb des Unternehmens. Auch in den anderen europäischen Ländern sehen sich weit mehr Juristen in dieser lenkenden, eher aktiven als reaktiven Position als in Deutschland.

Vielleicht liegen die deutschen Unternehmensjuristen aber mit ihrer Einschätzung auch einfach näher an der Realität. Gefragt nach dem täglichen Geschäft nämlich gaben – über alle Länder hinweg - nur 58 Prozent der Teilnehmenden an, auch tatsächlich präventiv zu agieren und potenzielle und neu auftretende rechtliche Risiken systematisch zu managen. Auch hier weist Deutschland mit 54 Prozent den niedrigsten Wert auf, 46 Prozent der inländischen Syndizi gehen hingegen auch im täglichen Business mit rechtlichen Themen eher fall- und projektbezogen um. Die Vorstellung von der Positionierung der eigenen Rechtsabteilung im Unternehmen deckt sich also in Deutschland offenbar eher mit der Realität des täglichen Doings.

Sehr wichtig, aber noch nicht sehr gut: Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen

Damit mag es auch zusammenhängen, dass eine überwältigende Mehrheit von 96 Prozent der deutschen Befragten die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmensbereichen für die wichtigste Aufgabe der Rechtsabteilung. Als fortgeschritten beurteilen diese Zusammenarbeit derzeit dabei nur 33 Prozent der Teilnehmenden, 48 Prozent sehen sie als eher mittelmäßig an.

44 Prozent der befragten deutschen Unternehmensjuristen haben diese Zusammenarbeit nach eigenen Angaben bereits verbessert, weitere 30 Prozent planen Verbesserungen.

Am weitesten sind die deutschen Legal Departments neben dieser verbesserten Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen nach eigener Einschätzung bei den Themen Compliance/Risiko Management sowie im Vertragsmanagement. In diesen Bereichen beurteilen jeweils 34 Prozent die eigene Arbeit als fortgeschritten.

"Legal Tech" ist noch eher Office Tech

Den dringendsten Verbesserungsbedarf sehen die Inhousejuristen im Bereich Struktur und Organisation. Bei der Strukturierung und Optimierung von Prozessen, der Übersicht über rechtliche Aktivitäten, beim Sammeln, Organisieren und Abrufen rechtlicher Informationen wollen sie noch besser werden.

Eine große Mehrheit von 85 Prozent will dabei offenbar verstärkt auf den Einsatz digitaler Tools und Lösungen setzen. Die Unternehmensjuristen erwarten nach eigenen Angaben, dass, anders als noch heute, in fünf Jahren ein erheblicher Teil ihrer täglichen Arbeit von Legal Tech unterstützt werden wird.

Allerdings ist das Verständnis davon offenbar noch immer eher diffus, der Begriff "Legal Tech" für die Unternehmensjuristen eher abstrakt. Nach den Legal-Tech-Lösungen gefragt, die sie derzeit schon einsetzen, antworten die Unternehmensjuristen vor allem mit zentraler Dokumenten- und Datenablage, eBilling-Lösungen und Tools fürs Compliance- sowie fürs IP-Management.

Die schon genutzten Lösungen sind also im Wesentlichen noch immer klassisches Office Tech. Echte Legal-Tech-Lösungen, die bei der originären juristischen Tätigkeit unterstützen, sind bislang dagegen kaum im Einsatz, ebenso wenig wie kollaborative Lösungen zur Zusammenarbeit mit dem Business (12 Prozent). Nur sechs Prozent der Befragten geben an, Tools zur automatischen Vertrags- und Dokumentenanalyse zu nutzen.

Und auch die Tools und Themen, die die Unternehmensjuristen auf der Agenda haben, beschränken sich auf Office Tech. So kommen Kollaborationsportale, mit denen sich viele Legal-Tech-Anbieter beschäftigen, in der Planung ihrer Kunden bislang praktisch noch gar nicht vor. Allerdings schätzen die Syndizi sich selbst nicht besser ein, als diese Antworten es erwarten ließen: Die deutschen Befragten halten sich bisher bei der Implementierung von Legal Technology für eher weniger erfolgreich.

Digitalisierung ohne Zeitplan und Budget

Der für Lösungen für Rechtsabteilungen bei Wolters Kluwer zuständige Segmentmanager sieht noch weitere Gefahren für die erfolgreiche digitale Transformation der Legal Departments: "Obwohl die Mitarbeiter des Rechtsbereichs, der IT-Abteilung und auch viele CEOs digitale Strategien für das Legal Department unterstützen, fehlen in einem erheblichen Teil der Rechtsabteilungen konkrete Zeitvorgaben und Budgets", sagte Aswin Parkunantharan gegenüber LTO.

Der These, dass es eine Strategie und definierte Prozesse braucht, um die Effizienz ihrer Arbeit zu steigern, stimmen die Syndizi zwar weit überwiegend zu. Über die Hälfte der Befragten geben auch an, eine klare Digitalstrategie zu haben, die Hälfte davon hat mit deren Umsetzung auch bereits begonnen. Die deutschen Legal Departments liegen damit über dem europäischen Durchschnitt.

Eine weitere Nachfrage ergibt jedoch auch hier einen klaren Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. 70 Prozent dieser Gruppe erklären nämlich, gar keinen Zeitplan für die Umsetzung dieser Strategie zu haben. 20 Prozent geben an, einen Zeitplan von bis zu drei Jahren zu haben. Mit einer konkreten Planung für die nächsten bis zu sechs Monate, also dem, was innerhalb eines Projekts als realistisch planbarer Zeitabschnitt gilt, arbeiten nur zwei Prozent der Befragten.

Ähnlich verhält es sich beim Budget: Ganze 80 Prozent derjenigen, die angeben, eine Digitalisierungsstrategie zu verfolgen, haben dafür gar kein konkretes Budget. Von den übrig bleibenden 20 Prozent haben nur rund 9 Prozent der Befragten mehr als 100.000 Euro zur Verfügung.

Hinzu kommen Herausforderungen technischer und organisatorischer Art: Die Verwaltung der IT und der Rechtsschnittstelle stellt die Unternehmensjuristen vor die größten Probleme, es folgen die Reorganisation und Neudefinition von Prozessen innerhalb der Rechtsabteilung und der erhöhte Schulungsbedarf für Anwälte und andere Kollegen. Dass mehr Arbeit bei gleicher Belegschaft zu bewältigen ist oder sie im Team auf Widerstand gegen die Neuerungen gestoßen wären, gaben hingegen nicht einmal die Hälfte der Befragten an.

Kaum Pläne, mehr Arbeit auszulagern

Vielleicht ist die abgefragte Digitalisierungsstrategie für viele Juristen, von Haus aus eher an konkrete Problemlösungen denn an abstrakte Prozessstrukturen mit Milestone-Planung und kontrollierbaren Zielvorgaben gewöhnt, auch einfach zu sehr Selbstzweck. Pläne zur weiteren Selbstoptimierung haben sie nämlich sehr wohl, und dabei setzen sie auf Technologie.

"Der Fokus bei der Digitalisierung wird auf die Tätigkeiten gelegt, die näher am internen Mandanten agieren", bestätigt Segmentmanager Parkunantharan. Die Legal Counsel wollen ihre Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen optimieren, Informationen besser sortieren und austauschen können und das Business in die Lage versetzen, mehr Rechtliches selbst zu erledigen. Aus Sicht von Parkunantharan ist vorrangiges Ziel des Einsatzes digitaler Tools "die Steigerung der Effizienz innerhalb des Rechtsbereichs sowie in der unternehmensinternen Zusammenarbeit".

Mehr Outsourcing der internen Arbeit hingegen plant offenbar nur ein geringer Anteil der befragten Rechtsabteilungen. Der Trend, verstärkt Paralegals und anderes nichtjuristisches Personal einzusetzen, scheint zumindest verlangsamt, nur 28 Prozent der Befragten gaben an, das jetzt oder in den kommenden Jahren zu beabsichtigen. Mehr Arbeit an externe Kanzleien auszulagern, planen sogar nur 8 Prozent der Unternehmensjuristen. Und sog. Alternative Legal Service Provider, also Rechtsdienstleister, die zum Beispiel in den USA eine immer größere Rolle spielen, haben hierzulande bloß 6 Prozent der deutschen Befragten für die kommenden Jahre auf dem Schirm.

Eine Studie des Bunds der Unternehmensjuristen und der Kanzlei CMS zum Stand der Digitalisierung in Rechtsabteilungen im Jahr 2016 habe ich damals betitelt mit "Viel guter Wille, wenig Budget". Allzu viel scheint sich in Deutschlands Legal Departments seitdem nicht verändert zu haben.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Studie zur Digitalisierung in Rechtsabteilungen: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41462 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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