Angebliche Bilanzunregelmäßigkeiten: Tilp reicht Anle­ger­klage gegen Wire­card ein

13.05.2020

Die Kanzlei Tilp hat eine Anlegerklage gegen Wirecard eingereicht und beantragt, ein KapMuG-Verfahren einzuleiten. Hintergrund sind Berichte über Bilanzunregelmäßigkeiten bei dem Unternehmen, die zu hohen Aktienkursverlusten führten.

Die Tübinger Anlegerschutzkanzlei Tilp hat am Dienstag für ihre Mandantin, das Anlegermagazin Effecten-Spiegel, Klage gegen Wirecard vor dem Landgericht (LG) München I eingereicht. Dies teilte die Kanzlei am Mittwoch mit. Gleichzeitig sei ein Antrag nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) gestellt worden, um ein Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) München einzuleiten.

Nach Kanzleiangaben handelt es sich um die erste deutsche Anlegerklage gegen Wirecard. In den USA dagegen sind bereits vor über einem Jahr erste Sammelklagen gegen das Unternehmen eingereicht worden.

Wirecard mit Sitz in Aschheim bei München ist spezialisiert auf die Abwicklung von elektronischem Zahlungsverkehr und hat in den vergangenen Jahren vor allem vom Boom bei Online-Bezahlungen profitiert. Im September 2018 war das Unternehmen nach rasantem Wachstum in den Dax aufgenommen worden und hatte dort die Commerzbank ersetzt.

Die Financial Times hatte Anfang 2019 mehrere Berichte veröffentlicht, in denen es um Vorwürfe von Kontomanipulationen und Dokumentfälschungen gegen einen Wirecard-Mitarbeiter in Singapur ging. Darin werden dem Unternehmen Scheinumsätze mit verschobenen Geldern vorgeworfen. Im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen schwankte die Wirecard-Aktie extrem. Es gab Kurseinbrüche im zweistelligen Prozentbereich, was für Dax-Unternehmen sehr ungewöhnlich ist.

Nach Sonderprüfung bleiben zentrale Fragen offen

Ende 2019 hatte Wirecard selbst eine unabhängige Sonderuntersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zu den Vorwürfen in Auftrag gegeben, der Bericht wurde am 28. April 2020 veröffentlicht. Darin stellte KPMG "Dokumentations- und Organisationsschwächen" im Zeitraum von 2016 bis 2018 fest und spricht von einem "Untersuchungshemmnis". So konnten die Prüfer nicht feststellen, ob bestimmten Buchungen auch reale Umsätze entsprechen. Damit sind wesentliche Fragen offengeblieben.

"Nach dem KPMG-Bericht sehen wir unsere feste Überzeugung bestätigt, dass Wirecard ein massives Compliance-Problem hatte und hat - und darüber hätte Wirecard den Kapitalmarkt rechtzeitig in Kenntnis setzen müssen", sagt Maximilian Weiss, Rechtsanwalt bei Tilp.

Tilp macht für den Effecten-Spiegel wegen Aktienkäufen im Jahr 2019 sogenannte Kursdifferenzschäden nach § 97 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) geltend. Der Schaden wird dabei auf mindestens 32 Prozent des jeweiligen von der Klägerin bezahlten Einstandskurses pro Aktie beziffert. Nach Ansicht der Rechtsanwaltskanzlei hat sich Wirecard wegen einer Reihe von falschen, unterlassenen sowie unvollständigen Kapitalmarktinformationen gegenüber ihren Aktionären schadensersatzpflichtig gemacht. Betroffen seien zumindest alle Aktienkäufe in dem Zeitraum vom 24. Februar 2016 bis 27. April 2020.

Kritik auch an EY

Zugleich kommt Wirecards Prüfgesellschaft EY ins Visier von Anlegerschutzkanzleien. Die Kanzlei Schirp & Partner prüft nach eigenen Angaben, was aus dem Sonderprüfungsbericht von KPMG für die Tätigkeit der langjährigen Abschlussprüfer des Unternehmens folgt und bereitet eine Klage vor.

EY hat die Jahresabschlüsse von Wirecard bis einschließlich 2018 testiert und dabei keine Beanstandungen erhoben. Die Auffälligkeiten, die KPMG aufgedeckt hat - nicht nachgewiesene Umsätze und Falschbilanzierung - hätten aus Sicht der Kanzlei aber im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfungsablaufes einer Jahresabschlussprüfung festgestellt werden müssen.

ah/LTO-Redaktion

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Angebliche Bilanzunregelmäßigkeiten: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41603 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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