Aktionäre des insolventen Technologiekonzerns Wirecard können keine Schadensersatzansprüche als Forderungen an den Insolvenzverwalter richten. Das LG München I hat eine Klage von Union Investment abgewiesen.
Anteilseigner von Wirecard gelten nicht als Gläubiger. Wer im Zuge der Insolvenz mit Aktien des Unternehmens Geld verloren hat, kann eine zugehörige kapitalmarktrechtliche Schadensersatzforderung nicht zur Insolvenztabelle anmelden. Die Fondsgesellschaft Union Investment klagte gegen den Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé und unterlag vor dem Landgericht (LG) München I (Urt. v. 23.11.2022, Az. 29 O 7754/21).
Die 29. Zivilkammer des LG weicht mit dem Urteil nicht von der gängigen Praxis ab, wonach Forderungen von Anteilseignern in einem Insolvenzverfahren nachrangig bedient werden. Die Ansprüche kreditgebender Banken oder der Gläubiger von Unternehmensanleihen genießen im deutschen Insolvenzrecht Priorität.
Union Investment hatte einen Schadensersatzforderung in Höhe von 243 Millionen Euro geltend gemacht und im Kern damit argumentiert, dass man sich bei Anlageentscheidungen auf Unternehmensmitteilungen und Aussagen des Managements gestützt habe, die sich als betrügerisch und irreführend herausgestellt hätten. Wirecard habe Kapitalmarktinformationspflichten vorsätzlich verletzt.
Frage der Täuschung ist unerheblich
Eine mögliche Täuschung ist nach Ansicht des LG aber unerheblich. Eine Einordnung der Ansprüche von Aktionären als Insolvenzforderung sei "mit den Grundwerten des Insolvenzrechts nicht vereinbar”, so Richterin Susanne Lukauer. Die Kammer stellt mit ihrem Urteil fest, "dass etwaig bestehende Schadenersatzansprüche der Klägerin nicht als Insolvenzforderungen im Rang des § 38 InsO zur Tabelle festgestellt werden können". Eine Entscheidung zum generellen Bestehen eines Schadensersatzanspruchs wurde nicht getroffen.
Im Nachgang der Wirecard-Insolvenz haben mehr als 20.000 Aktionärinnen und Aktionäre Forderungen mit einem Gesamtvolumen von rund sieben Milliarden Euro angemeldet. Jaffé dürfte das aktuelle Urteil zum Anlass nehmen, zumindest den überwiegenden Teil der Ansprüche zurückzuweisen.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Aller Voraussicht nach wird sich mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Aktionäre zu Gläubigern werden können, zu einem späteren Zeitpunkt der Bundesgerichtshof zu beschäftigen haben.
sts/LTO-Redaktion
Urteil des LG München I zu Insolvenzforderungen: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50256 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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